INSPIRATION: Wenn man seine Tätigkeit komplett ins Homeoffice verlagern kann – warum dann nicht auch an jeden beliebigen Ort der Welt? Travel-Office nennt das ein Unternehmen, also sitzt eine Mitarbeiterin in Mexico am Pool. Mit Reisen hat das aber weniger zu tun als mit der Möglichkeit, überall auf der Welt Mitarbeiter anheuern zu können. Mit vielfältigen Folgen, wie die Wirtschaftswoche berichtet (Die Ich-Filiale).
Die Sache hat viele Aspekte. Fangen wir mal mit dem für die Mitarbeiter besonders reizvollen an: Sich den Arbeitsort jederzeit auswählen zu können und tatsächlich nicht an einen bestimmten Ort gebunden zu sein, erscheint mir persönlich tatsächlich höchst erstrebenswert. Und ich praktiziere das in kleinem Rahmen schon viele Jahre. Wobei sich diese Möglichkeit jetzt nicht nur Selbstständigen, sondern auch Angestellten von Unternehmen bietet, weil sich die Arbeitgeber von der Vorstellung verabschieden, möglichst alle Mitarbeiter an einem Ort versammeln zu müssen. Tatsächlich wollen wohl immer weniger Menschen für einen neuen Job umziehen. Wenn sie nun gar nicht mehr in die Nähe der Zentrale ziehen müssen, erhöhen sich die Möglichkeiten der Recruiter natürlich enorm, die Chance, das begehrte Fachpersonal zu finden, steigen. Stichwort „grenzenloses Recruiting“.
Schattenseiten
Aber wie alles hat das seine Schattenseiten: Damit wächst die Konkurrenz: Der Programmierer aus Berlin tritt an gegen den „Kollegen“ aus Indien – der heimische Arbeitsmarkt verliert an Bedeutung, was sich nicht gerade gehaltssteigernd auswirkt. Auch national könnten die Entgeltsysteme in Bewegung geraten: Warum sollte ein Unternehmen dem Ingenieur auf dem Land genauso viel bezahlen wie demjenigen in der Großstadt? Gehälter werden sich also nicht mehr nur an der Fachkompetenz und Position ausrichten, sondern auch am Standort. Viel Tüftelarbeit für die Entgeltexperten.
Aber warum auch nicht? Wer lieber im Grünen wohnen bleiben möchte und eine günstige Bleibe findet – warum sollte er das gleiche Gehalt bekommen wie jemand, der die Kosten in München zu verkraften hat?
Die Firma als Heimat
Bleibt die Geschichte mit der Firma als „Heimat“. So schön das flexible Arbeiten auch ist – hin und wieder die Kollegen „in echt“ sehen, sich begegnen, austauschen, Nähe und Gemeinschaft erleben, zusammen an einer Sache arbeiten oder einfach nur mal andere Menschen um sich herum haben, gehört zum Arbeitsleben dazu. Und in der Tat – bei aller Flexibilität und Freiheit ist das etwas, was auch ich immer wieder vermisse.
Die Lösung klingt verblüffend einfach: Warum nicht eine „Mini-Niederlassung“ aufmachen? Zumindest große Unternehmen könnten das ohne allzu große Kosten einfach umsetzen. Man schaut, wo mehrere Mitarbeiter nicht allzu weit voneinander wohnen und eröffnet in der Nähe ein Büro. Das ist sicher etwas anderes als in der gigantischen Konzernzentrale aus Glas zu arbeiten. Aber selbst wenn die dort hin und wieder auflaufenden Kollegen nicht dem gleichen Team angehören – so etwas wie Gemeinschaft kann dennoch entstehen. Man muss halt ein Stück Kontrolle aufgeben, was aber mit der Corona-Pandemie ganz zwangsläufig passierte, ohne dass die Organisationen zusammenbrachen.
Ich bin wirklich gespannt, wie sich das Thema weiter entwickeln wird – auf jeden Fall wird es eine Menge Varianten und viele Experimente geben.