27. Juli 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Zu viel Platz

INSPIRATION:  Die Brand eins hat ein ganzes Heft der Frage gewidmet, ob Unternehmen noch einen Ort benötigen und wenn ja, wie dieser wohl aussehen mag. Nach der Lektüre ist nur eines klar: Eine eindeutige Antwort gibt es nicht. Dafür viele unterschiedliche Meinungen und Ansichten. Da bleibt jede Menge Raum zum Experimentieren.

Gibt es Gemeinsamkeiten unter all denjenigen, die hier zu Wort kommen? Das schon. So die Aussage, dass viele Menschen die Flexibilität enorm schätzen: Sie möchten arbeiten, wann und wo es ihnen am besten passt. Wer sie zwingt, sich zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten einzufinden, aus welchem Grund auch immer, der wird sich in Zukunft schwer tun, die so dringend gesuchten Fachkräfte an sich zu binden. Mehr noch: Es wird zum Teil gar nicht mehr möglich sein, die Mitarbeiter dauerhaft physisch zusammen zu bekommen. Sie werden über den ganzen Globus verstreut sitzen und arbeiten.


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Was auch für die Menschen enorme Vorteile bringt: So zum Beispiel für viele Partner, die häufig mit den Familien ihren Lebensgefährten gefolgt sind, wenn diese einen neuen Job annahmen oder versetzt wurden (Der beste Ort zum Arbeiten?). Der Rest ist auch längst vertraut: Weniger Pendeln, bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Einsparen teurer Büroflächen.

Menschen schätzen Flexibilität

Aber hier endet schon die Gemeinsamkeit. Sind die Mitarbeiter loyaler, wenn ihnen ihr Arbeitgeber diese Flexibilität ermöglicht, wie Choudhury behauptet? Beim US-Patentamt ist das so: Dort stieg die Produktivität und die Zufriedenheit. Aber was, wenn alle Arbeitgeber diese Möglichkeiten bieten? Warum sollten Mitarbeiter dann bleiben? Ich schätze, die Loyalität endet schnell, wenn das Gehaltsangebot steigt. 

Was die Frage aufwirft, wie man dann Mitarbeiter bindet. Eine Antwort lautet: Starke Rituale. Bei Umlaut gibt es einmal im Jahr ein zentrales Treffen für alle Tochterfirmen mit großer Party, die inzwischen legendär ist. Dazu findet auch regelmäßig eine Strategieklausur statt, die großen Anklang findet („Das beste Instrument zur Vernetzung ist ein Kühlschrank mit Bier“). Hier gibt es auch eine interessante Antwort auf die Frage, ob eine Firma eine eigene Heimat benötigt und den dazu passenden Ort. Lautet die Antwort „ja“, gründet man das Geschäft aus, statt zu versuchen, eine Heimat für alle zu schaffen. Ich habe mich schon immer gefragt, welchen Sinn es ergibt, dass große Organisationen versuchen, so etwas wie eine gemeinsame Identität zu konstruieren, um dann kurze Zeit später Bereiche wieder zu verkaufen.

Brauchen Menschen einen konkreten Ort?

Also noch mal die Frage: Brauchen Menschen einen konkreten Ort, wo sie sich treffen können? Nö, sagt die Chefin von Marantec (Der feine Unterschied). Wenn die Leute sich treffen wollen, dann organisieren sie das selbst. Und wenn sie sich dafür einen Co-Working-Space in einer anderen Stadt anmieten wollen, dann bezahlt das die Firma. Wie man das bisherige Headquarter in Zukunft nutzen möchte, ist noch offen. Es wird auf jeden Fall nicht mehr wirklich benötigt.

Doch, es braucht einen Ort, um sich zugehörig zu fühlen, sagt die Personalvorständin von Viessmann (Der feine Unterschied). Man zwingt sie nicht dazu, aber schubst sie sanft zurück ins Büro. Vor allem: Es gibt neben den „Digital Nomads“ und den „Hybrid Pros“ (die gerne zwei oder drei Tage ins Büro kommen) nun mal auch immer noch die „Workplace Enthusiasts“, die gar nicht von zu Hause aus arbeiten wollen.

Individualiserung ungekannten Ausmaßes

Das macht die Sache echt kompliziert. Es wird wohl so sein: Man muss sich genau anschauen, was die Mitarbeiter möchten. Stephan Jansen spricht von einer „Individualisierung von Arbeit in einem bisher ungekannten Ausmaß“ (Brauchen Unternehmen noch Orte?). Soll heißen: Es gibt nicht die eine passende Lösung, sondern unendlich viele. Was immer noch nicht die Frage beantwortet, ob es eben auch ganz ohne Ort funktioniert. Wäre das so: Warum bauen gerade die großen Tech-Unternehmen riesige Zentralen, die protzigen Palästen vergangener Herrscherdynastien ähneln?

Eben genau deshalb. Sie messen sich an der Lage und Pracht ihrer Firmensitze, das war schon immer so. Man demonstriert seinen Erfolg (Der Umzug). Eben genauso wie das Könige und Kaiser zu allen Zeiten versucht haben, und damit Vorbild für alle waren, die gerne zu ihnen gehört hätten. Aber ist das noch zeitgemäß? Lassen sich Menschen dadurch langfristig binden, wenn sie in einem solchen Palast arbeiten dürfen? Oder wenigstens hin und wieder mal einige Tage in der glitzernden Firmenzentrale verbringen können?

Oder könnte es sein, dass wir zurückkehren zum alten „Kaffeehaus“. Der Inhaber einer Agentur namens Rosebud in Wien überlegt allen Ernstes, sein Unternehmen in einem Wirtshaus unterzubringen, das für alle geöffnet ist und an dem man Menschen „wie im vordigitalen Zeitalter“ treffen kann (Der Umzug). Ein Automobilzulieferer, der nach dem Vorbild der Konzerne ein großes Firmengebäude errichtet hat, ließ ein neues Start-up gegenüber in einen alten Bauernhof einziehen. Und beobachtet jetzt, dass die Leute aus der Zentrale „für ihre Meetings viel lieber über die Straße in den Bauernhof gehen“ (Das beste Instrument zur Vernetzung …).

Was die Demonstration von Erfolg und Macht durch die Firmenzentrale betrifft: Da gibt es auch eine Gegenbewegung. Eine alternative symbolische Geste ist das Understatement: Es „zeigt, wie das Unternehmen und seine Führungskräfte gesehen werden wollen.“ Hat so seine Vorteile, vor allem bei Firmenzusammenschlüssen („Unternehmen kommunizieren mit ihren Räumen“). Sonst muss man ja die prächtige Zentrale des übernommenen Konzerns platt machen, was tatsächlich auch geschieht.

Zum Abschluss noch einmal die Frage, ob Firmen Orte benötigen, damit sich die Mitarbeiter gebunden fühlen? Denn tatsächlich ist es ja egal, für welchen Arbeitgeber ich tätig bin, wenn ich allein zu Hause vor mich hin arbeite. Stimmt es, wie die Chefin von Marantec sagt, dass „Identifikation dadurch entsteht, dass der Arbeitgeber seinen Leuten vertraut?“ Oder ist der gemeinsame Ort „eine Waffe im Kampf um die Talente“ (Begehrt, anspruchsvoll wechselfreudig)?

Eine interessante Analogie: Es gibt Beispiele aus der Historie, die als Vorbild gelten können: Klöster und Universitäten. Sie stellen für ihre Mitglieder „starke physische Heimaten“ dar, aber bieten ihnen die Möglichkeit, in vielen Räumen individuell zu lernen, zu arbeiten und nachzudenken. Es ist daher kein Zufall, dass Unternehmen ihre Zentralen häufiger als „Campus“ bezeichnen – auch wenn das oft nicht mehr als ein Name ist (Brauchen Unternehmen noch Orte?). Noch eine spannende Idee, die alles andere als neu ist: Die Filiale. Das, was Banken gerade dicht machen (und vermutlich bereuen werden), während erste Anbieter mit einem Bankbus unterwegs sind. Das Vorbild auch für andere Branchen ist der klassische Wochenmarkt. Warum nicht auch für Mitarbeiter? Wenn die Firma hin und wieder zu ihnen kommt …

Wie schon am Anfang festgestellt: Vieles scheint möglich zu sein, auch die Variante, zum alten Büroarbeitsplatz zurückzukehren, wird dazugehören.

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