INSPIRATION: Führung wird kulturell stark mit stereotyp-männlichen Rollenvorstellungen assoziiert: „Richtige Männer“ seien stark, durchsetzungsfähig und dominant. Kooperatives und fürsorgliches Handeln passt da weniger dazu.
Doch genau das wird von New Work propagiert: Empowerment meint das Erleben von Kompetenz, Bedeutsamkeit, Selbstbestimmung und Einfluss am Arbeitsplatz (Mit Empowerment zu New Work). Behindern also klassisch männliche Verhaltensweisen New Work? Die Autoren (Auf der Suche nach neuen Konturen) stecken den Finger in eine alte Wunde: Diversity.
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Interessant daran ist nun, dass die Botschaft nun von Männern verkündet wird. Denn dass Frauen über Benachteiligung im Arbeitsleben klagen, ist nun nicht neu – und empirische Befunde zum Thema gibt es zahlreiche. Zuletzt hat ein Team um den renommierten Führungsforscher Jürgen Weibler das Phänomen noch einmal in Online-Konferenzen untersucht (Wo die Häsin im Pfeffer liegt). Mit eindrucksvollen Ergebnissen.
„Nicht das Mannsein an sich ist somit das Problem, sondern das tradierte Bild von Männlichkeit,“ so die Autoren Fritzsche und Pauw. Und sie verweisen auf Studien wie die des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2016), die zeigen, dass sich das tradierte Männlichkeitsbild (Macho) hartnäckig hält. Es sind nach diesen Studien 27 Prozent der Männer, die sich mit diesem Leitbild identifizieren. Und 39 Prozent lehnen „die Auseinandersetzung mit Männlichkeitsbildern generell ab“. Sie reagieren mit Ignoranz, Abwehr und gelegentlich sogar aggressiv.
4 + 1 Prinzipien der Männlichkeit
„Wann ist ein Mann ein Mann“, fragte schon Herbert Grönemeyer (Männer) im Jahr 1984. Die Autoren bringen es aktuell auf diese Punkte:
- Keine Gefühle haben – hart und durch setzungsfähig sein.
- Nicht versagen – gewinnen und recht haben.
- Keine weiblichen Attribute verkörpern – „ein echter Mann“ sein.
- Keine Hilfe benötigen – Selbstständigkeit beweisen.
Hinzukommt ein „Bonus-Prinzip“: „Männlichkeit ist gewissermaßen ein prekärer sozialer Status, der schnell verloren ist.“ Männer müssen immer wieder beweisen, dass sie ein „richtiger Mann“ sind. Also kein „Weichei“. Also nicht „weiblich“. Und das ist ein Problem.
Obwohl Jungen und Mädchen die gleichen Bildungschancen haben, bleiben die Leistungen der Jungs in der Schule (und ich ergänze: auch in der Hochschule) in vielen Bereichen hinter denen der Mädchen. Die These der Autoren: Prosoziales (Lern-)Verhalten ist für Mädchen normal. Für Jungs nicht. Weil sie „cool“ sein müssen, um von den gleichgeschlechtlichen Peers akzeptiert zu werden.
Opfer und Profiteure zugleich
Man könnte es auch so drehen: Die Rabauken stehen sich selbst im Weg. Doch wie gut, dass ihre gut ausgebildeten und mit exzellenten Noten dekorierten Partnerinnen dann ab der Geburt des gemeinsamen Kindes freiwillig zuhause bleiben. Das ebnet den Männern den Weg im Job. Denn bis die Damen dann wieder zurück im Unternehmen sind, ist deren Karrierezug oft schon abgefahren. Auf den Posten sitzen schon die Männer. Und die müssen kämpfen, denn die Wirtschaft ist eine Arena. Ok, etwas holzschnittartig gezeichnet. Doch: Männer sind folglich Opfer und Profiteure gegenwärtiger Strukturen zugleich.
So weit, so bekannt. Was tun? Es braucht nicht nur neue Strukturen (Erziehungsurlaub beispielsweise, den Männern weniger nehmen). Es braucht auch eine neue Führungskultur. Auch das ist nicht neu (Dosenöffner für das agile Mindset?). Unternehmen können es Männern aus Sicht von Fritzsche und Pauw erleichtern, alte Rollenbilder zu durchbrechen. Sie schlagen dafür „Safer Spaces für Männer“ vor, also „wertfreie Reflexionsräume, in denen Männer unter Männern psychologische Sicherheit erfahren dürfen. In denen sie ins Gespräch kommen über spezifische Herausforderungen im Kontext Arbeit und Leadership.“
Im Dilemma
Das lässt mich nun wieder skeptisch werden (Verschlimmbesserung). Wer geht denn in eine betrieblich geförderte Selbsthilfegruppe? Das käme doch einem Outing gleich. Und hatten wir nicht gesehen, dass die Diversity-Programme in Unternehmen tendenziell dazu neigen, eine neue, paternalistische Bürokratie aufzubauen (Diversity & Co – Der Offenbarungseid)? Nachdem nun diese DEI-Programme (Diversity, Equity & Inclusion) in den USA vor Jahren zur Pflicht wurden, werden sie dort gerade mit Macht und „Kettensäge“ wieder abgeschafft. „Die Rache des kastrierten Cowboys,“ kommentierte das zuletzt Kets de Vries (Das Später kommt nie).
Es mag sein, dass die europäischen Unternehmen sich diesem Trend entgegenstemmen. Aber hatten wir aus der Kritik an solchen Programmen nicht eh gelernt, dass Diversity & Co. am erfolgreichsten als Graswurzelbewegung sind (ESG – Schluss mit lustigem Greenwashing)? Hier vermisse ich seitens der Autoren Fritzsche und Pauw schlicht Hinweise zur organisationalen Implementierung. Was von ihnen kommt, sind vier neue Prinzipien einer lebensdienlichen Männlichkeit:
- Fühlen statt verdrängen: „Nur wer Emotionen nicht verdrängt, kann sie als Informationsgeber nutzen, kann sie einordnen und hat die Chance, sie bei sich und anderen zu regulieren, statt von ihnen beherrscht zu werden.“ Emotionale Intelligenz ist gefordert.
- Brauchen statt beeindrucken: Verbundenheit, gute Beziehungen, soziales Eingebundensein kann man jenseits von Statusprotzerei auch auf andere Weise erleben. Das eröffnet neue Handlungsspielräume.
- Entwickeln statt festhalten: Kontrolle, Selbstbehauptung und Abgrenzung – wenn das alles ist, was Männern einfällt, sollten sie die hohen physischen und psychischen Kosten für ihre Privilegien nicht aus dem Blick verlieren.
- Dienen statt dominieren: Die Kosten für Dominanz sind hoch. Und ewig plagt das latente Minderwertigkeitsgefühl. Entspannter lebt es sich – hormonell gesprochen – mit Oxytocin statt Dopamin und Cortisol.
Alles gut, schön und richtig. Nur Holz entzündet sich nicht, wenn man ein Papier danebenlegt, auf dem Feuer steht. – Doch ich bin mal wieder arg skeptisch. Schließlich haben die beiden Autoren auch ein Buch geschrieben. Darin erklären sie vermutlich, nachdem sie die Leserschaft mit diesem Zeitschriftenbeitrag hungrig gemacht haben, wie man den kulturellen Wandel im Unternehmen konkret hinkriegt. Wie man also die, die es nötig hätten, dazu bekommt, sich mit dem Problem, dass sie nicht sehen wollen, sogar vehement ablehnen, auseinanderzusetzen.
Die taffen Weibsbilder haben genauso viel Testeron im Leib wie die Mannsbilder.
*Es ist eine Frage von Motiven und Werten sowie IQ und ihrer intensiven Nutzung. – Nichts weiter.