REZENSION: Martina Nohl: Laufbahnberatung 4.0. Know-how und Tools für die Beratung in Beruf und Karriere. managerSeminare Verlags Gmbh 2018
Da ja bekanntlich momentan nicht nur von „Industrie 4.0“, sondern direkt von etlichen anderen zeitgemäßen Entwicklungen mit einer solchen Nummerierung die Rede ist, bedient sich Martina Nohl in ihrem gerade erschienenen Buch auch dieses modernen Appendix. Denn professionelle = kommerzielle Laufbahnberatung jenseits der klassischen „Arbeitsamtsdienstleistung“ ist ein vergleichsweise zeitgemäß-junges Beratungsprodukt. Dieser Begriff ist etwas neutraler formuliert als Karriereberatung“, was im Deutschen stärker mit beruflicher Aufwärtsbewegung assoziiert wird. Wer sich jetzt weniger für die eigentlichen Inhalte des Buches, sondern mehr für die abschließende Bewertung interessiert, mag beherzt direkt zum Ende weiterscrollen. Für geduldigere Leser hier eine – recht ausführliche – Zusammenfassung:
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Zu Beginn nimmt die Autorin eine präzise Abgrenzung von Berufsberatung, Laufbahnberatung und Business Coaching vor, wobei natürlich auch etliche Gemeinsamkeiten zu finden sind. Zentraler Ansatz einer wirksamen, weil umfassenden Laufbahnberatung ist ein Prozessverständnis, das damit im klaren Kontrast zu einem einmaligen Informationsgespräch steht. Übliche Beratungsbausteine sind dabei:
- Umfassende Anliegensklärung
- Berufliche Standortbestimmung mit Analyse der aktuellen Tätigkeit samt Zufriedenheit- und Unzufriedenheitsfaktoren
- Berufliche Kompetenzermittlung als Bilanz zwischen (verdichteten) Stärken, Zukunftsvorstellungen, Interessen und Werten
- Berufliche Zielfindung
- (Weiter-)Bildungsberatung, Unterstützung bei der Stellen-Recherche
- Bewerbungsberatung, Vorbereitung von Jobinterviews
Weiterführende, tiefergehende Elemente können sein:
- Beschäftigung mit der (Erwerbs-)Biographie
- Identitäts- und Visionsarbeit
- Entwicklung mehrerer beruflicher Alternativen (z.B. als sog. „Patchwork-Laufbahn“ mit ergänzender Selbständigkeit) oder ein Zukunftsentwurf mit verbesserter Passung in das Familiensystem
- Training von Selbstmanagement- und Umsetzungskompetenz
- Begleitung in der ersten Zeit im neuen Tätigkeitsfeld.
Konkretes Ziel ist dabei der subjektive Berufserfolg im Sinne einer beruflichen Identitätsfindung, was nicht zwangsläufig mit äußerlichen Statusfunktionen identisch sein muss. Auch wenn sich die Laufbahnberatung in der Regel mit psychisch gesunden Menschen und ihrer allgemein menschlichen Anpassungsproblematik in Übergangsprozessen beschäftigt, werden gleichwohl rasch tiefgehende persönliche Fragen aufgeworfen und idealerweise auch beantwortet wie „Wer bin ich wirklich?“, „Wie habe ich gelebt und wie will ich leben?“, „Was ist mir wichtig und wie viel bin ich bereit, dafür zu zahlen?“.
Dabei kommen viele Klienten erst in die (formelle) Laufbahnberatung, wenn sie schon Etliches in Eigenregie probiert haben, aber mit dem Problem zunehmend nicht mehr zurande kommen. Dabei können sich oft auch andere Lebensbereiche als zunehmend problembehaftet herausstellen. In solchen Wendephasen kann sich dann rasch eine Art problemfokussierter Tunnelblick wegen der vermeintlich existenzbedrohenden Fragen ausbilden.
Im Sinne der Individualpsychologie Alfred Adlers regt die Autorin dabei an, anstelle lähmender Angst gezielt mit kreativen Impulsen die eigene Intuition zu stimulieren, um sich aus einer möglichen Opferhaltung zu befreien. Dabei mag es in der Praxis der Laufbahnberatung anstelle erster Erfolge durchaus zu einer „Erstverschlimmerung“ kommen, die dann allen Beteiligten einiges an Frustrationstoleranz abverlangt. Dies wiederum unterstreicht den Anspruch, die Laufbahnberatung von Anfang an als einen agilen Prozess mit Projektcharakter sowie nicht zu unterschätzenden Nebeneffekten für die allgemeine Persönlichkeitsentwicklung zu verstehen.
Das Folgekapitel sammelt dann unter der Überschrift „New Work“ die vielfältigen (Zusatz-)Belastungen für abhängig Beschäftigte im kapitalistischen Wirtschaftssystem wie:
- Entkoppelung von Raum und (Arbeits-)Zeit samt Digitalisierung
- Abschied von der Normalbiographie und Wandel der Berufsbilder /Arbeitsformen
- Durchlässigkeit des Bildungs- und Beschäftigungssystems bei zunehmender Alterung der Gesellschaft.
Daraus resultieren für die künftig zunehmend agilen Arbeitnehmer offensichtliche Chancen, aber auch Risiken wie Überforderung / Burn-out. Eine kritische Reflexion dieser Zusammenhänge führt dann zur abschließenden Bewertung der individuellen Beschäftigungsfähigkeit, wozu dann im Buch ein Selbstcheck-Fragebogen angeboten wird.
Im zweiten Kapitel wird dann die Perspektive gewechselt und das Thema aus Beratersicht betrachtet, der ebenfalls seine fachlichen, methodischen, sozialen und personalen Kompetenzen hinterfragen muss. Denn die Laufbahnberatung muss als ganzheitliche Prozessberatung auf Augenhöhe mit dem Klienten erfolgen und erfordert dazu eine zielgruppengerechte Passung, es gibt keinen „Mann [oder Frau] für alle Fälle“.
Der eigentliche Prozess kann dann entlang einer konstruktivistischen Grundhaltung dem Design-Thinking-Ansatz oder der „Zürich-Mainzer-Prozess-Spirale“ folgen. Der Beratungsprofi sollte sich dabei eines praxistauglichen „Werkzeugkoffers“ bedienen können, in dem biographische Methoden, Visualisierung, Kartensortieraufgaben, Storytelling oder Körperwahrnehmungstechniken enthalten sind, halt das übliche und bewährte Instrumentarium aus Therapie, Coaching und Selbstmanagement. In diesem Zusammenhang wirbt die Autorin für einen besonders behutsam ausgeprägten Umgang mit psychometrischen Testverfahren / Persönlichkeits- und Interessenfragebögen zur Selbst- und Fremdeinschätzung.
Das dritte Kapitel vergleicht die Beratungs- und Wirkprinzipien auf Prozess- und Inhaltsebene und wird dabei anspruchsvoller und auch etwas weniger pragmatisch-anwendungsorientiert. Hier werden Modelle von Übergangsprozessen vorgestellt bzw. wiedergegeben samt üblichen Begleitemotionen wie Aggression, Regression oder Resignation. Vom Berater wird dann eine ausgewiesene Klienten- und Erlebnisorientierung gefordert, um auch niedrigschwellige Reize („Micro-Inputs“) angemessen interpretieren und ggf. auch auf der Meta-Ebene zu betrachten (was sich aber sicherlich nicht allein durch die Lektüre dieses oder eines anderen Buches erlernen lässt, sondern nur durch langjährige Praxis).
Konkreter wird es dann wieder im vierten Kapitel zu den verschiedenen Bausteinen der Laufbahnberatung wie Umfassende Standortbestimmung, Analyse der Berufsbiographie / beruflichen Interessen / eigenen Werte oder zur Entwicklung beruflicher Zukunftsentwürfe wie Realistische Visionen oder „In welchem Biotop möchte ich leben?“, um am Ende die eigentliche individuelle Berufung bestmöglich zu bestimmen.
Nach diesem „Weg nach innen“ schließt sich der „Weg nach außen“ an, die Findung konkreter Berufsideen samt unvermeidlicher Entscheidungen entlang des Rubikon-Modells. Daraus wiederum ergeben sich spezifische Handlungsziele bis hin zu Recherche-Aufgaben, Netzwerk-Aktivitäten und dem eigentlichen Bewerbungsprozess mit online-Jobsuche, Unterlagenerstellung und Vorstellungsgespräch.
Das eingangs versprochene Fazit des Buches fällt am Ende sehr wertschätzend-positiv, aber auch zunehmend differenziert aus: Zunächst einmal gebührt Frau Nohl große Anerkennung, dass sie ihrer eigenen Zunft samt der Fülle an unterforderten Coaches und anderen (Nachwuchs-)Professionals in Buchform kompaktes Handlungswissen anbietet, um auf diesem Zukunftsmarkt Fuß zu fassen. Aus dieser Perspektive wird das Buch für ein zwar eingeschränktes, dafür aber ausgesprochen aufgeschlossenes Zielpublikum von großem Interesse sein. Ferner imponierten dem Rezensenten die differenziert-flüssige Darstellung sowie die hintergründige Betrachtung des Themas samt gut begründeter persönlicher Standpunkte und Sichtweisen.
Ohne „Rezeptbuch-Anspruch“ bietet die Autorin dem Leser etliche Tools wie zum Beispiel Selbstcheck-Fragebögen an, die zwar konventionell, aber absolut ordentlich und damit praxistauglich konstruiert sind. Insofern wird das Buch dem selbstgesetzten Anspruch seiner Autorin gerecht und bietet dem Leser / Anwender einen umfangreichen „Steinbruch“ für seine eigenen Unterfangen. Selbst wenn sich das Buch explizit an Berater, also an Professionals und nicht an deren Klienten richtet, können auch fachkundige Personalexperten, z.B. angestellte Personalentwickler davon profitieren: Auch ohne sich unbedingt als Laufbahnberater selbstständig zu machen, ermöglicht es vielen, Unterstützung zu leisten für das berufliche Weiterkommen anderer oder auch sich selbst.
Insofern viel Licht, aber dann auch nahezu unvermeidlich etwas Schatten: In einigen Kapiteln geht in der Wahrnehmung des Rezensenten zuweilen etwas die Bodenhaftung verloren und das Buch schraubt sich in Höhenflüge auf, für die eine etwas niedrigere Flughöhe auch gereicht hätte. Dies wird dadurch unterstrichen, dass wiederum etliche sehr naheliegende, pragmatisch-hilfreiche Inhalte wie etwa die Vorbereitung auf Jobinterviews nur angedeutet und nicht vertieft werden. Insofern werden – wie im Untertitel des Buches versprochen – tatsächlich viel „Know-How und Tools für die Beratung in Beruf und Karriere“ angeboten, aber nicht zwangsläufig genau die dazu Hilfreichsten. Aber diese Einschränkung soll die rundherum positive Gesamtbewertung dieses Buches nicht übermäßig strapazieren, Frau Nohl macht dem Leser ein ausgesprochen faires Angebot und liefert ausgezeichnete Einblicke. Damit schafft sie sich – billigend – eine Menge Konkurrenz auf dem Beratermarkt, den sie aber durch diese offensichtliche Arbeitsprobe mit viel Kompetenzbeweis nicht zu scheuen braucht!