PRAXIS: Das Verfahren des systemischen Konsensierens habe ich bereits beschrieben. Warum man es Mehrheitsentscheidungen vorziehen sollte, auch bei kniffligen Personalentscheidungen, wird hier an zwei Beispielen erläutert.
Worum geht es? Vor allem dann, wenn es mehr als zwei Entscheidungsalternativen gibt (aber selbst bei nur zwei Optionen) hat der Mehrheitsentscheid gravierende Nachteile. Eine Option setzt sich gegenüber mehreren anderen durch, weil sie die meisten Stimmen auf sich vereint. Was aber nicht erfasst wird: Wie stehen die „Verlierer“ zu der „siegreichen“ Variante? In einem Beitrag der Zeitschrift für Konfliktmanagement wird das Beispiel einer Wahl des Parteivorsitzenden herangezogen (Systemisches Konsensieren). Der Sieger erhält 450 Stimmern, der Zweitplatzierte 392 und der Dritte 157. Damit bekommen 551 Parteimitglieder nicht ihren Wunschkandidaten.
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Das systemische Konsensieren geht von einer anderen Überlegung aus, nämlich von der Akzeptanz der Optionen. Gefragt wird nämlich nach dem Widerstand gegen jede einzelne Option, und zwar abgestuft z.B. von 0 bis 10 (wobei 10 für den höchste Widerstand steht).
Akzeptanz der Optionen
Man stelle sich das mal in der Praxis vor: Das Wahlvolk stimmt nicht für eine bestimmte Partei, sondern gibt jeder Partei Punkte, je nachdem, wie groß der Widerstand gegen die jeweilige Partei oder den jeweiligen Kandidaten ist. Dann kann ich meine bevorzugte Partei mit 0 Punkten bewerten und die Partei, die ich auf keinen Fall möchte, mit 10. Und bei den anderen kann ich differenzieren, ausgehend von der Frage: Wie groß wäre mein Problem mit der jeweiligen Option?
Tatsächlich könnte man das Verfahren auch in Kombination mit einem Mehrheitsentscheid durchführen. Wäre doch höchst interessant zu erfahren, wie groß die Akzeptanz für den jeweiligen Kandidaten oder die jeweilige Option ist. Es wäre eine Art Stimmungsbarometer.
Das zweite Beispiel in dem Beitrag handelt von einer Wohngemeinschaft, die sich nicht darauf einigen konnte, welcher Art die Neugestaltung ihrer Gartenanlage sein sollte. Im klassischen Verfahren der Abstimmung setzten sich Parkplätze knapp durch, aber klar war, dass viele Bewohner ein Problem mit dieser Lösung hatten. Der Mediator schlug das Konsensieren vor und führte eine weitere Option ein: Nämlich den bisherigen Zustand beizubehalten. Übrigens eine Option, die man häufiger wählen sollte. Sie stellt in gewisser Weise die „Grenze“ dar. Lösungen, die noch mehr Widerstand als der bisherige Zustand erfahren, kommen auf keinen Fall in Frage. Beim Konsensieren war der Widerstand gegen die Spielgeräte für Kinder am geringsten, die Parkplätze landeten noch hinter dem Status quo.
Die Grenze austesten
Was noch wichtig ist beim Konsensieren: Bevor man die endgültige Entscheidung trifft, fragt man bei der favorisierten Option diejenigen, die einen hohen Widerstand gegen sie haben, worin dieser besteht und was man tun kann, um ihn abzubauen; z.B. indem man die Lösungsvariante noch variiert.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es trotz allen Übens immer wieder zu „taktischem“ Verhalten kommt. Man gibt 0 Punkte für die selbst favorisierte Lösung und allen anderen 9 oder 10 Punkte. Das Abfragen des Einzelwiderstands ist ein gutes Mittel, taktisches Verhalten „abzutrainieren“. Außerdem: Gibt jemand allen anderen Varianten 10 Punkte, um die Lieblingsoption durchzusetzen, kann es ihm passieren, dass seine favorisierte dennoch nicht durchkommt, dafür aber auch diejenige nicht, die ihm vielleicht am zweitliebsten war. Und genau die hat er dann verhindert, weil er auch ihr einen hohen Widerstand entgegen gebracht hat. Dann werden Sie erleben, dass jemand sagt: „Ja, hätte ich gewusst, dass …, dann hätte ich natürlich …“.
Aufgabe des Moderators ist es, immer wieder deutlich zu machen, dass jeder sich bei JEDER Option überlegen soll, ob er mit ihr leben kann, falls sie sich durchsetzt. Das ist gewöhnungsbedürftig, ich würde es sehr begrüßen, wenn man ein solches Abstimmungsverfahren schon früh üben würde – z.B. bei der Wahl eines Klassensprechers.