INSPIRATION: Ende September 2014 hat Richard Branson mit der Ankündigung größere Medien-Wellen erzeugt, dass seine Mitarbeiter/innen künftig so viel Urlaub nehmen können wie sie wollen – solange hierunter die Erledigung der Arbeitsaufgaben und die persönliche Karriere nicht leiden1. Dies wird im Folgenden als „Urlaubs-Flatrate“ bezeichnet.
Übernommen hat Branson diese Idee von der US-Firma Netflix. Sie ist eng mit dem in den Nullerjahren in den USA bei der Firma Best Buy entwickelten Konzept „ROWE“ (Results-Only Work Environment) verwandt, wonach nicht die Arbeitszeit und der Arbeitsort zählen, sondern allein das Ergebnis (Best Buy hat sich davon im Übrigen mittlerweile verabschiedet). In Deutschland wird es auch als „Arbeitszeitfreiheit“ bezeichnet – und/oder leider häufig mit „Vertrauensarbeitszeit“ gleichgesetzt. Bei der letzteren geht es jedoch, anders als bei Arbeitszeitfreiheit, immer noch um Arbeitszeit: Der Unterschied zu konventionellen flexiblen Arbeitszeitregelungen besteht „lediglich“ darin, dass „die Einhaltung dieser Verpflichtung… nicht kontrolliert (wird)“ (BAG, Urteil vom 15.5.2013, 10 AZR 325/12, Rz. 26). Das analoge Urlaubs-Konzept „Vertrauensurlaub“ – es bleibt also bei vertraglich zustehenden z.B. 30 Tagen Erholungsurlaub pro Jahr, auf eine diesbezügliche Kontrolle verzichtet der Arbeitgeber jedoch – ist dementsprechend ebenso etwas ganz anderes als „Urlaub so viel man will“.
Das zeigt sich auch daran, dass es bei Arbeitszeitfreiheit und Urlaubs-Flatrate logischerweise keine Ausgleichsansprüche geben kann – insbesondere hinsichtlich über die Vertragsarbeitszeit hinausgehender Arbeitszeit und im Kalenderjahr nicht genommener Urlaubstage -, während diese bei Vertrauensarbeitszeit und -urlaub nach entsprechender Abstimmung mit der Führungskraft durchaus möglich sind. Warum nun sollten bei maximal flexibilisierter, von den Arbeitnehmer/inne/n selbst gesteuerter Arbeitszeit Vertrauensarbeitszeit und ggf. Vertrauensurlaub gegenüber Arbeitszeitfreiheit und Urlaubs-Flatrate vorgezogen werden?
Arbeitszeit matters
Es mag ja schon sein, dass für manche Arbeitgeber nur die Ergebnisse zählen. Für die meisten Arbeitnehmer/innen jedoch ist Arbeitszeit die vielleicht wichtigste Arbeitsbedingung, wie schon die vielen Diskussionen über „Work-Life-Balance“ und familiengerechte Arbeitszeitgestaltung unschwer erkennen lassen. Wie sehr sich diesbezüglich in den letzten Jahren die Erwartungen gerade auch der High-Potentials verändert haben, zeigt zum Beispiel die regelmäßige Studierenden-Umfrage der Continental AG: Hiernach wird zwar eine hohe Flexibilität hinsichtlich der Verteilung der Arbeitszeit gewünscht, nicht (mehr) aber von deren Dauer:
Aber auch ganz unabhängig hiervon kommt man unterhalb der Ebene der Leitenden Angestellten vom Arbeitszeit-Maßstab nicht weg, weil hier ja insbesondere die Regelungen des Arbeitszeitgesetzes und des Bundesurlaubsgesetzes (z.B. 4 Wochen gesetzlicher Mindesturlaub) zu beachten sind. Dass „Besserverdienende“ meist keinen Anspruch darauf haben, jede Mehrminute kompensiert zu bekommen, ändert daran nichts.
Was ist „Ergebnis“?
Im Arbeitsverhältnis wird – anders als im Werkvertrag – nicht Leistung, sondern Arbeitszeit gegen Geld getauscht. Soll hier vor diesem Hintergrund nur noch „das Ergebnis“ zählen, setzt dies – wenn keine Seite übervorteilt werden soll – zumindest voraus, dass es zum einen genau und zum anderen gemeinsam festgelegt wird; es darf also insbesondere keine einseitige Vorgabe durch den Arbeitgeber geben. Schon ersteres ist jedoch gerade in den Bereichen mit eigenverantwortlicher Arbeitszeiten-Steuerung – und nur hier kommen Vertrauensarbeitszeit und Arbeitszeitfreiheit in Frage – angesichts der hier heutzutage in aller Regel ständig wechselnden Anforderungen und der vielen arbeitstäglich produzierten Einzel-Ergebnisse praktisch völlig ausgeschlossen.
Darüber hinaus kann es bei der Aufgabenerledigung zu von dem/der Arbeitnehmer/in nicht zu verantwortenden externen Störungen kommen, die es ihm/ihr erschweren oder sogar verunmöglichen, das vereinbarte Ergebnis zu erbringen. Viele Arbeitnehmer/innen versuchen aber auch dann immer noch zu liefern, was oft zu Überbelastungen führt. So verwundert es dann auch nicht, von Firmen mit Urlaubs-Flatrate zu hören, in denen Arbeitnehmer/innen überhaupt keinen Urlaub mehr nehmen: etwa von der US-Firma Evernote, die ihren Angestellten daher 1.000 Dollar zahlt, wenn sie mindestens eine Woche freinehmen. Unter solchen Umständen ist Arbeitszeit weiterhin der einzig sinnvolle Leistungsmaß – und zugleich ein geeigneter Schutz für die Arbeitnehmer/innen.
Gleichbehandlung ist nur hinsichtlich Arbeitszeit erreichbar\n
Wenn nur das Ergebnis zählt, kann es dazu kommen, dass die besten (weil sie schneller sind) und/oder die durchsetzungsfähigsten Arbeitnehmer/innen (denen es gelingt, das zu erreichende Ergebnis niedrig anzusetzen) und/oder die Arbeitnehmer/innen mit den durchsetzungsschwächeren Führungskräften (wie eben) am wenigsten arbeiten und dann eventuell mit hohem, auch materiellem Aufwand zu Mehrarbeit gebracht werden müssen. Umgekehrt werden die durchsetzungsschwächeren Arbeitnehmer/innen sowie diejenigen mit den durchsetzungsstärksten Führungskräften tendenziell länger arbeiten müssen. Dies führt zwangsläufig zu Ungleichbehandlungen und zu Neid und Missgunst unter den Arbeitnehmer/innen, die schon bei Vertrauensarbeitszeit latente Probleme darstellen – aber hier gibt es ja immerhin noch einen gemeinsamen Leistungsmaßstab.
Insgesamt haben daher aus meiner Sicht ROWE (und Urlaubs-Flatrate) gegenüber Vertrauensarbeitszeit (und -urlaub) keinerlei Vorteile. Vielmehr lassen sich maximale Arbeitszeitflexibilität (einschließlich also des mobilen Arbeitens) und Ergebnisorientierung auch schon im Rahmen von Vertrauensarbeitszeit erreichen – und damit unter Bedingungen, die ein rechtskonformes und auch den Belangen der Arbeitnehmer/innen gerecht werdendes Arbeiten ermöglichen.