KRITIK: Hier kommt ein wahrhaft revolutionärer Ansatz. Es geht um das alte Phänomen, dass viele Menschen nicht sonderlich gerne „zur Arbeit gehen“. Und dass es bisher angeblich zur Lösung dieses Problems noch keinen echten Durchbruch gab. Das behaupten zwei Autoren im Harvard Business Manager und liefern natürlich genau diese „Durchbruch-Idee“ (Lieben Sie Ihren Job?).
Diese lautet: Führungskräfte sollen „Jobs so gestalten, als wären sie Produkte“. Anders ausgedrückt: Arbeit als etwas betrachten, „das Beschäftigte mit ihrer Arbeitskraft bewusst kaufen.“ Und sich deshalb jeden Morgen aktiv für sie entscheiden. So wie man sich entscheidet, Brötchen bei einem bestimmten Bäcker zu kaufen. Mit der Konsequenz, dass man, wenn sie bei dem einen Bäcker nicht schmecken, eben zu einem anderen wechselt.
Anzeige:
Menschen mögen - Gesund führen - Fehlzeiten senken: Das sind die Themen von "do care!" Meine Materialien und Ausbildungen richten sich an Profis, die mit Führungskräften arbeiten - ob im BGM, im HR oder in Training und Beratung. Zur Webseite...
Wow, was für eine Revolution. Ohne Ironie werden hier tatsächlich der Fahrdienst Uber, Lieferdienste für Lebensmittel und die Arbeit mit Fremdfirmen oder Freiberuflern als Beispiele angeführt. Hier können sich angeblich die Menschen jetzt schon jederzeit frei entscheiden, zur Konkurrenz zu wechseln.
Grandiose Erkenntnis?
Ich hätte spätestens an dieser Stelle aufgehört zu lesen, wenn ich nicht doch neugierig gewesen wäre, welche praktischen Auswirkungen dieses revolutionäre Denken denn hat. Und was erfahre ich? Regelmäßige Mitarbeiterbefragungen, um sich nach der Zufriedenheit der Beschäftigten zu erkundigen und ihre Bedürfnisse zu ermitteln. Ihnen die Wahl lassen, wie sie bezahlt werden wollten: Fixgehalt oder Aktienoptionen. Den Mitarbeitenden genau zuhören, um die „Diskrepanz zwischen den Präferenzen der Mitarbeitenden und deren Aufgaben“ zu erfassen und die Kluft zu schließen.
Echt jetzt? Das ist die grandiose Erkenntnis, die sich ergibt, wenn man Arbeit als Produkt den Mitarbeitenden verkaufen möchte? Die oben genannten Beispiele von Uber und Co. zeigen, was dann außerdem passiert: Massenartikel werden möglichst billig produziert und entsprechend günstig auf den Markt geworfen. Wer sich die wertvolleren und hochwertigeren nicht leisten kann, nimmt das, was besonders günstig ist. Und wenn woanders ähnliche Produkte noch billiger angeboten werden (man denke an Temu und Co.), dann wechselt man sofort den Anbieter. Da ist allein der Preis ausschlaggebend, im Beispiel der Arbeit das Gehalt. Warum sollten Uber-Fahrer oder Lieferdienst-Boten sich gerne jeden Morgen für ihren Job bei ausgerechnet dem einen Arbeitgeber entscheiden?
Das Modell der Arbeit als Produkt funktioniert maximal dort, wo es sich um Luxusartikel handelt. Wo Menschen wirklich sich die Jobs aussuchen können, weil sie gefragt sind. Der Rest wird sich überlegen, welche Kosten ein Wechsel nach sich zieht und im Zweifel bleiben. Mehr noch, er wird für das Produkt „Arbeit“ weniger bezahlen, sprich: Seine Leistung senken.
Mit anderen Worten: Die revolutionäre „neue Sicht“ ist nicht nur alles andere als neu (hatten wir nicht schon mal vom Ansatz des „Servant Leadership“ gehört), sondern auch nicht zielführend. Statt sich als Verkäufer oder Produzent von Arbeit zu präsentieren: Wie wäre es, wenn sich Unternehmen als Zusammenschluss von Menschen mit einem gemeinsamen Anliegen, einem gemeinsamen Ziel verstehen? Bei dem allen klar ist, dass sie dieses Ziel nur erreichen, wenn jeder seine Möglichkeiten und Fähigkeiten optimal einbringen kann? Und bei dem Führungskräfte lediglich eine von vielen möglichen Aufgaben übernehmen, etwa den der Koordination der vielfältigen Aufgaben. Und bei dem die Beschäftigten nicht darauf warten, dass man ihnen die Arbeit maximal schmackhaft und interessant macht, sondern darauf vertrauen können, dass man sie ihnen nicht unnötig verleidet.