KRITIK: Ziemlich amerikanisch und irgendwie banal. Am Beispiel verschiedener Krankenhausbetreiber zeigen Autoren im Harvard Business Manager, wie man mit dem richtigen Biss (engl. „grit“) eine ganze Organisation zum Erfolg führt. Ein Plädoyer für Beharrlichkeit, Ausdauer und Entschlossenheit.
Zentrale Aussage: Wenn Sie Menschen finden, die Begeisterungsfähigkeit, Beharrlichkeit und Belastbarkeit besitzen, die zudem davon überzeugt sind, dass die eigene Arbeit bedeutsam ist (oder sein sollte) und die ein „Wachstumsdenken“ haben, d.h. die glauben, sich durch harte Arbeit stetig verbessern zu können und aus Rückschlägen nur noch stärker hervorgehen, dann sollten sie diese unbedingt einstellen und fördern (Unternehmen mit Biss).
Dieser Begriff „grit“ wird sodann auch auch Teams und ganze Organisationen übertragen. Und dann wird vom CEO des Klinikbetreibers Cleveland Clinic, Toby Cosgrove, berichtet, dem als Schüler wenig zugetraut wurde, weil seine Legasthenie spät erkannt wurde, der nur mit Mühe einen Studienplatz in Medizin fand, der unbedingt Chirurg werden wollte, aber dann zum Militär musste und schließlich gegen jeden Rat Herzchirurg wurde, einer der besten auf seinem Gebiet.
Wer beißt hier wen?
Als er CEO des Unternehmens wurde, holte er sich Rat bei Michael Porter, stellte einen jungen Arzt, der das Unternehmen unzufrieden verlassen hatte, als Chief Experience Officer ein und sorgte dafür, dass es ein höchstes Ziel gab, dem alle anderen untergeordnet wurden: Das Wohl der Patienten. Ob all das etwas mit „Biss“ zu tun hat, lassen wir mal dahin gestellt. Aber Konsequenz ist sicherlich ein Stichwort, sie zeigt sich in diesen Aktionen:
Bei den Mayo-Kliniken durchlaufen Ärzte eine dreijährige Evaluationszeit, erst dann erhalten sie einen unbefristeten Vertrag. Bei Cleveland Clinic bekommen sie nur einjährige Verträge. Am Ende eines jeden Jahres findet ein Gespräch über Fortschritte statt. Darin wird ihnen ausführliches Feedback gegeben, wie sie im Vergleich zu anderen abschneiden – das ist der Lohn, eine Prämie gibt es nicht. Mit anderen Worten: Man ist in einer fortwährenden Probezeit und kann sich seines Jobs nie sicher sein.
Es gibt bestimmte Regeln, die zur Norm erhoben wurden. Wenn sich in den Mayo-Kliniken der Beeper wegen eines Patienten meldet, hat der Arzt unverzüglich zu reagieren, egal, wo er gerade steckt oder was er gerade macht. Wer sich nicht daran hält, ist nicht mehr lange dort.
Konsequentes Handeln
Bei Cleveland Clinic gab es Teammeetings, die sich „wertschätzende Erkundung“ nennen. Hier tauschen sich die Mitglieder aus über Patienten, deren Versorgung sie stolz gemacht hat, um herauszufinden, was in diesen Fällen besonders gut geklappt hat. Und was getan werden kann, damit alle Patienten genauso gut versorgt werden können.
Auch ein Beispiel von Konsequenz: Bei Cleveland Clinic gestaltete man die Parkplätze um, so dass nicht mehr die Ärzte, sondern die Patienten möglichst nah am Eingang parken können.
Letztlich wird hier gezeigt, dass erfolgreiche Organisationen klare Prioritäten benötigen. Und dass das Handeln der Führungskräfte sich daran nicht nur zu orientieren hat, sondern auch daran gemessen wird. Aber wie so oft bei solchen Beispielen ist der Ansatz sehr einseitig und schlicht.
Aber auch einseitig
Mal angenommen, Sie schauen sich alle Bewerber daraufhin an, ob sie in ihrem Leben an Rückschlägen gewachsen sind, beharrlich an etwas glauben, das „größer als sie selbst“ ist, und die immer ihrer Linie treu bleiben (so die Tipps für das Einstellungsinterview) – was ist dann mit dem Kandidaten, der zwar immer wieder etwas Neues anfängt und alles andere als ausdauernd und beharrlich ist, aber der geniale Ideen hat? Der kreativ, chaotisch und launisch ist, aber über den Tellerrand hinausblicken kann? Will sagen: Macht es am Ende nicht die Mischung in einem Team?
Und was ist mit der Idee, Werte zu priorisieren? Klingt erst mal gut, so wie bei den genannten Unternehmen das Wohl des Patienten an oberste Stelle gesetzt wird? Erinnert an Amazon, wo der Kundennutzen die höchste Priorität hat und diesem alles untergeordnet wird. Als Signal sicher keine schlechte Idee, aber mal konsequent zu Ende gedacht: Wenn Mitarbeiter sich so verausgaben zum Wohle des Patienten, dass sie selbst krank werden und ausfallen – was ist dann von einer solchen „Zielhierarchie“ zu halten? Letztlich gilt es bei aller Priorisierung immer auf’s Neue abzuwägen. Und vermutlich gibt es Zielkonflikte, die nur so aufgelöst werden können, dass manchmal eben das Wohl des Patienten doch nur an zweiter Stelle kommt. Sich dann stur und beharrlich an die Vorgabe zu halten und sie nicht im Einzelfall auch in Frage stellen zu können, scheint mir keine gute Idee zu sein.