INSPIRATION: Und schon wieder: Eine scheinbar allgemein anerkannte Überzeugung wird in Frage gestellt: Sind unstrukturierte Interviews gar nicht so schlecht wie ihr Ruf? Neue Erkenntnisse legen das nahe, aber so einfach ist die Sache nicht.
Der Hintergrund: Wissenschaftler haben die vorliegenden Daten zur Wirksamkeit von Interviews analysiert und statistische Korrekturen vorgenommen. Mit dem Ergebnis, dass unstrukturierte Interviews ähnlich gut, wenn nicht sogar bessere Vorhersagen ermöglichen. „Haben wir doch immer schon gesagt“, frohlocken diejenigen, die eine vorgegebene Verfahrensweise als lästig empfanden und lieber Fragen aus dem Bauch heraus formulierten.
Martin Kersting sieht im Personalmagazin die Sache deutlich differenzierter (Ein Angriff auf das Fundament der Interviewtechnik). Seine Erklärung: Nicht die feste Struktur macht die Qualität eines Bewerbungsinterviews aus, sondern der Inhalt oder besser: Die Vorbereitung.
Ich kann mich an zwei Interviewtrainings erinnern, die ich in meiner Personalerlaufbahn mitgemacht habe. In dem einen wurde uns erklärt, dass zwecks Vergleichbarkeit und „Objektivität“ jeder Bewerber exakt die gleichen Fragen gestellt bekommen soll. Die Interviews empfand ich als hölzern, steif und höchst unbefriedigend für beide Seiten – sie wurden weder dem Anliegen als noch den Kandidaten gerecht.
Im zweiten Training erklärte uns der Experte, wie man durch gezieltes Nachfragen in der Biografie der Kandidaten herumstocherte – was einerseits durchaus interessante Erkenntnisse zutage brachte, andererseits aber keinerlei Bezug zur ausgeschriebenen Stelle hatte. Jemand war grundsätzlich geeignet oder eben nicht.
Beides kam mir sehr merkwürdig vor. Bis ich an einem Training zum biografischen Interview teilnahm, das durch zwei wesentliche Dinge überzeugte: Zum einen wurde im Vorfeld ziemlich intensiv darüber diskutiert, welche Fähigkeiten, Erfahrungen, Eigenschaften und Qualifikationen man zu erfassen versuchte. Anschließend wurden bei jedem Kandidaten die Lebensläufe nach Situationen abgeklopft, in denen sie diese Qualitäten gezeigt oder eben nicht gezeigt hatten. Nachfragen waren nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich gewollt.
Alles hängt an der Vorbereitung
Das deckt sich ziemlich mit Kerstings Empfehlungen. Eine gute Vorbereitung bedeutet zu wissen, wonach man sucht. Und es hilft ungemein, wenn man sich auch schon mal überlegt, welche Fragen man stellen möchte. Ob man so etwas schon als Struktur bezeichnen würde, darüber werden die Meinungen auseinander gehen. Wenn aber ein Kandidat mir etwas berichtet und ich nicht nachfragen darf, weil das die (angebliche) Vergleichbarkeit beeinträchtigt, dann nehme ich mir die Chance, Wesentliches in Erfahrung zu bringen.
Soll heißen: Ein Interviewleitfaden ist sinnvoll, ihm sollte eine Anforderungsanalyse zugrunde liegen und es sollte auch schon geklärt sein, wie man die Ergebnisse protokolliert, bewertet und interpretiert. Das alles kann mehr oder weniger ausführlich gemacht und akribisch verfolgt werden, „bedeutet aber keinesfalls, dass man den Interviewleitfaden später sklavisch abarbeitet.„
Kersting hat noch eine ganz Reihe von Empfehlungen, was man in der Vor- und Nachbereitung tun kann, um zu aussagefähigen Ergebnisse zu kommen, alle hinlänglich bekannt. Erfahrungsgemäß wird aber vielen Personalern oder Führungskräften das meiste zu aufwändig sein. Schön wäre es, wenn diejenigen, die einfach drauflos fragen, in Zukunft ein wenig mehr Zeit in die Vorbereitung steckten und diejenigen, die sich sklavisch an einen eimal festgelegten Leitfaden halten, sich flexibler auf die Bewerber einstellten. Und es den Experten überlassen, was sie unter einem strukturierten Interview verstehen.