KRITIK: Ein Vorstand eines Unternehmens bringt ihr Kleinkind mit ins Büro nebst engagierter Nanny, zwischen zwei Terminen geht sie ins Nebenzimmer und stillt. Ein Modell für die Vereinbarkeit von Kind und Karriere? Die Vereinbarkeit scheint noch einen langen Weg vor sich zu haben. Denn das Beispiel stammt von einer erfolgreichen Gründerin, die es sich erlauben kann, hinter ihrem Schreibtisch einen eigenen Bereich für ihr Kind einzurichten.
Auch sonst muten die Beispiele im Handelsblatt (Tabubrecher im Chefsessel) eher exotisch an. Sicher, immer mehr Väter und Mütter möchten die Zeit mit den Kleinen genießen, ohne auf die berufliche Erfüllung verzichten zu müssen. Nur wessen Chef lässt denn Wiegen und Kinderställe am Arbeitsplatz aufstellen und verpflichtet am besten gleich noch ein Au Pair Mädchen für die Führungskraft, die ihren vollen Einsatz bringen soll?
Die anderen Beispiele von einem Arztehepaar, beide Oberärzte, die ihre Arbeitszeit reduzierten oder zwei Banker, die ebenfalls auf Teilzeit setzen, klingen nur auf den ersten Blick spannend: Bei einer Arbeitszeit von 80% kann ja wohl kaum die Rede davon sein, Beruf und Familie zu vereinbaren – mit 20% Familienzeit dürften sich die lieben Kleinen kaum zufriedengeben. Deshalb ist auch hier von einer Nanny die Rede, ohne sie geht es nicht.
Deutlich wird mal wieder vor allem eines: Wer auf starre Arbeitszeiten angewiesen ist, der ist gekniffen. Nur wenn der Arbeitgeber flexibel ist, Meetings so legt, dass auch Familienväter und -Mütter eine Chance haben teilzunehmen und niemand auf ständiger Anwesenheit besteht, ist Familie und Beruf überhaupt kombinierbar. Was dennoch einen hohen Planungsaufwand erfordert, wie die Ärztin sagt: „Wir sitzen jeden Tag da und schauen, ob unser Wochenplan noch gilt.„
Nein, die hier vorgestellten Karrieremenschen sind alles andere als Tabubrecher, sondern vermutlich Planungsgenies. Mutig wäre es, wenn die Arbeitgeber sich umstellen und Menschen mit Familienplanung fragten, wie sie sich die Gestaltung ihrer Arbeit vorstellen, und dann entsprechende Modelle entwickeln. Und wenn es der Still- und Krabbelraum im Großraumbüro ist.
Für die Betroffenen dürfte bis auf Weiteres gelten: „Man kann nicht alles haben.“ Und sich die Frage stellen, wie wichtig einem beides ist. Um dann eben auf das weniger Wichtige zu verzichten.