KRITIK: Endlich ist der Stein der Weisen gefunden: Weil es doch so schwerfällt, sich regelmäßig Feedback zu geben, helfen nun Feedback-Apps. Damit kann man bis zu fünf Sterne verteilen oder mal den anerkennenden Daumen senden. Und sogar einen Gesprächstermin vereinbaren.
Bei Daimler nutzen angeblich schon 20.000 Mitarbeiter diese App. Interessante Begründung: Überall wird bewertet, vom Hotel über Rezepte bis zum Hausarzt – nur die Arbeitswelt wirkt noch „gnadenlos veraltet“. Da wird es höchste Zeit, dass sich die Mitarbeiter gegenseitig Feedback per Tastendruck geben. Ist ja schon lange bekannt, dass man mit Feedback nicht bis zum Jahresgespräch warten sollte.
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Letzteres stimmt sicher, aber ist es wirklich so rückständig, wenn man im Unternehmen auf das Gespräch setzt statt auf Apps zur gegenseitigen Rückmeldung? Mal schauen, wie das funktioniert. Also: Bei Daimler sucht die App zuerst einmal aus dem Adressverzeichnis Kontakte raus und schlägt sie dem Mitarbeiter vor. Darunter kann dann auch der CEO sein. Sie findet auch Teilnehmer aus dem letzten Outlook-Termin. Der Feedbacknehmer kann andere anfragen, man kann aber wohl auch ungefragt Feedback geben. Einige Reaktionen sind voreingestellt, z.B. der Daumen. Kurze Kommentare sind möglich als auch die Verabredung auf einen Kaffee (Entscheidende Momente besser verstehen).
In Echtzeit …
So stelle ich mir das dann vor: Der Chef hat eine Besprechung abgehalten, anschließend bekommt er von einem Teilnehmer einen „Daumen hoch“ und den Kommentar: „Gutes Zeitmanagement“. Und vielleicht sogar noch den Vorschlag, sich zum Kaffee zu treffen, um weitere Rückmeldungen zu geben. Das alles geht jederzeit und überall – „in Echtzeit“. Feedback kann ab sofort „auch spontan und ungeplant eingholt werden“. Wahnsinn, oder? Ein Schritt aus der Steinzeit, wo wir doch bisher keine Möglichkeit hatten, jemand spontan und ungeplant nach seiner Meinung zu fragen – in Echtzeit.
Ironie beiseite: Ist gegen ein solches Tool etwas einzuwenden? Überhaupt nicht, klingt nach einer witzigen Anwendung, die vielleicht dem einen oder anderen leichter fällt zu nutzen als nach dem Meeting zum Chef zu gehen und zu sagen: „Gutes Meeting, straff organisiert. Lust auf einen Kaffee für weitere Rückmeldungen?“ Also nur zu, solange man nicht anfängt die Daumen zu zählen und den Mitarbeitern und Chefs, die viele Daumen erhalten, eine Prämie zahlt und andere zum Kritikgespräch in die Personalabteilung bittet.
Wettbewerb?
ABER: „Feedback-Programme sind nicht gegen Abnutzungserscheinungen immun“, soviel weiß man schon. Soll wohl heißen: Am Anfang werden solche Tools genutzt, aber sie nutzen sich auch ab. Was kann man dagegen tun? Gamification lautet die Antwort, und das sieht so aus: Wer häufig Feedback verteilt, der bekommt Punkte, die er für wohltätige Zwecke spenden kann. Und wer Kollegen außerhalb seiner Abteilung Rückmeldungen schickt, erhält virtuelle Abzeichen. Aus Feedback wird ein Wettbewerb, wie schräg ist das denn?
Das wird nun noch gesteigert: Der Feedbackgeber erhält vom Feedbacknehmer eine Bewertung des Feedbacks, das gibt Punkte, die in einer Highscore-Liste gesammelt werden. Bedeutet: Wer häufig brauchbares Feedback gibt, der steht ganz oben in der Feedbackgeber-Rangliste. So sinnvoll das im ersten Moment klingt: Hier wird mit Sicherheit mehr Schaden als Nutzen entstehen, und sei es, dass Menschen, die wirklich gutes Feedback zu geben in der Lage sind, den Quatsch einfach nicht mitmachen und sich ganz raushalten.
Stern(e)hagel
In dem Beitrag der managerSeminare (Sterne von Kollegen) ist noch von der Vergabe von Sternen die Rede. Hier scheint es sich um eine andere App zu handeln, dabei wird dringend empfohlen, diese Bewertung anonym zu halten. Das Problem ist alt, man kennt es auch jedem Feedback-System der letzten 20 Jahre. Von Fortschritt keine Rede. Kein Wunder, dass hier am Ende dann doch auch Kritiker zu Wort kommen, die von diesen Apps gar nichts halten. Statt auf Jahresgespräche setzen die Personaler also auf Elektronik, was nicht wirklich etwas verändert.
Die Empfehlung, begleitend Trainings anzubieten, in denen die Mitarbeiter lernen, wie man richtig Feedback gibt, mutet noch witziger an. Was hat man denn all die Jahre gemacht? Bleibt eine Alternative, die von Armin Trost eingebracht wird: Die Reflexionsinsel: Mitarbeiter können zu jedem Zeitpunkt eine Art „Stopp“ einfordern, bei dem man gemeinsam darüber spricht, was gut und was weniger gut läuft. Auch nicht neu, nur verdienen daran die App-Anbieter nichts.
Apropos Anbieter: Welche Apps zur Zeit auf dem Markt sind, verrät der Beitrag im Personalmagazin (Entscheidende Momente besser verstehen).