INSPIRATION: Wenn Meetings und ganze Konferenzen online stattfinden, Coaching und Seminare sowieso, dann sollte es doch auch möglich sein, Konflikte auf Distanz zu lösen. Online-Mediation ist als „Online Dispute Resolution“ (ODR) gar keine neue Geschichte und hat so manchen Vorteil, wenn man einige Dinge beachtet.
Nur kurz zur Begriffsklärung: Unter ODR wird offenbar eine ganze Palette von Techniken verstanden, angefangen von die Mediation begleitender Kommunikation per Mail bis hin zu „automatisierten Formen der Konfliktbeilegung“. Gemeint ist wohl tatsächlich (sehr vereinfacht ausgedrückt), dass die Streitparteien ihre „Forderungen“ einem Programm anvertrauen und der Algorithmus die Lösung präsentiert.
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Vom Präsenztreffen ins Internet
Im Folgenden geht es jedoch um die Verlagerung des kompletten Mediationsprozesses vom Präsenztreffen ins Internet – so wie man sich nun mal in Corona-Zeiten verstärkt per Zoom oder Skype oder was auch immer trifft. Dass ein großer Vorteil der reduzierte Aufwand ist (keine Fahrtkosten und geringerer Zeitaufwand für alle Beteiligten), ist banal. Es kommen aber etliche weitere hinzu: Man ist viel flexibler in der Terminfindung, kann auch mal kürzere Sitzungen planen oder Ganztagesmeetings auf mehrere Termine verteilen. Man kann auch zwischendurch mal unterbrechen, wenn sich die Parteien mit anderen Beteiligten absprechen wollen, ohne dass diese vor Ort sind (Online-Mediation Teil 2).
Es gibt zudem Konstellationen, in denen es unrealistisch ist, dass sich die Parteien an einen Tisch setzen, z.B. bei gewaltsamen Konflikten oder emotional hoch belasteten und verhärteten Konstellationen. Oder wenn die Konfliktparteien über den Globus verteilt sind.
Weitere Vorteile: Die Parteien sind autonomer – sie können per Mausklick aussteigen, was vielleicht ihre Bereitschaft, überhaupt mitzumachen, steigert. Das Gespräch selbst läuft oft disziplinierter ab, wie die Erfahrungen zeigen. Online wird viel deutlicher, dass es wenig hilfreich ist, wenn man sich ins Wort fällt oder parallel spricht, denn das „auditive Chaos“ ist unmittelbar spürbar. Und schließlich lässt sich online ein Co-Mediator leichter durchsetzen. Allein schon mit der Begründung, dass jemand bei technischen Problemen zur Verfügung stehen sollte oder dafür benötigt wird, den Chat-Verlauf zu beobachten.
Beschränkungen
Ambivalent sind die Wirkungen von Online-Mediation, was die Emotionalität angeht. Diese ist deutlich gedämpfter, wenn man irgendwo vor dem Bildschirm und weit entfernt von seinem Konfliktpartner sitzt. Das erleichtert die Gesprächsführung gerade bei hoch eskalierten Konflikten, verleitet aber dazu, den Konflikt zu oberflächlich zu bearbeiten. Noch ein Problem: In Präsenzsituationen lässt sich (nachdenkliche) Stille besser aushalten als online, zumal schnell der Gedanke einer technischen Störung aufkommt und der Mediator oder die Parteien hektisch werden.
Und dann gibt es die bekannten Nachteile: Echter Augenkontakt geht nicht, die Aufmerksamkeitsspanne ist vor dem Bildschirm kürzer, nicht so technisch affine Menschen sind unsicher, und man weiß auch nie, ob derjenige wirklich allein ist und wer das Gesagte alles noch mithört. Außerdem lassen sich Online-Gespräche ziemlich einfach aufzeichnen, so dass die Frage des Vertrauens oder des Datenschutzes im Raum steht.
Praktische Hinweise
Aus all dem lassen sich einige Tipps ableiten, die der Online-Mediator berücksichtigen sollte. Es fängt damit an, dass die Kamera auf Augenhöhe eingestellt wird, so dass zumindest der Eindruck von Blickkontakt entsteht. Ein zweiter Bildschirm ist hilfreich, um das, was schriftlich fixiert wird, parallel zu bearbeiten, während man den Parteien „gegenüber sitzt“. Ein Co-Mediator ist sehr zu empfehlen – nicht nur wegen des technischen Supports, sondern er kann mehr noch als beim Präsenztermin auf Stimmungsnuancen, Änderungen im Ausdruck oder Randbemerkungen achten und einspringen, wenn der Kollege erschöpft ist (Online-Mediation – Teil 1).
Für mögliche technische Probleme sollte vorab geklärt sein, auf welches Ersatzmedium man zurückgreift, damit der Prozess nicht komplett abbricht. Man sollte deutlich mehr Pausen einbauen (spätestens nach 120 Minuten) und vielleicht von vornherein mehrere kürzere Sitzungen vereinbaren. Auch gilt es mit den Beteiligten zu klären, von welchem Ort aus sie an der Mediation teilnehmen. Es sollte ihnen bewusst sein, dass sie sich wortwörtlich den Konflikt an den Arbeitsplatz oder nach Hause holen. Ebenso, dass sie dem anderen einen Einblick ins persönliche Umfeld gewähren, was man ja vielleicht nicht unbedingt möchte (aber mitunter auch ein Vorteil sein kann).
Was zu bedenken ist
Alle sollten sich kurze Zeit vor dem vereinbarten Termin zuschalten, um die Technik zu testen (was auch im Vorfeld schon geschehen sollte). Zu Beginn des Treffens wird vereinbart, welchen Bildausschnitt man wählt – nur das Gesicht, was Vorteile zum Erkennen der Mimik bietet, oder der Oberkörper, was die Gestik einbezieht. Auch ein guter Tipp: Jeder schwenkt einmal mit der Kamera durch den Raum, Stichwort Vertraulichkeit. Bei vielen Teilnehmern vereinbart man, wie sich jeder einbringen kann – z.B. durch Handzeichen oder Chat-Meldung.
Und wenn es notwendig ist, Zwischengespräche zu führen, dann sollte auch vorher geklärt werden, über welches Medium diese stattfinden. Ein letzter Tipp: Der schöne Moment der Einigung wirkt online sicher nicht so wie im „richtigen Leben“, hier bietet sich an, diesen aufzuzeichnen und ihn den Parteien im Nachgang als Video zur Verfügung zu stellen.
Schöne Beispiele aus der Praxis gibt es im gleichen Heft von Isabell Lütkehaus („Ich kann dich nicht riechen“) und im Gespräch zwischen Eva Schwittek und Christian von Baumbach (Konfliktbearbeitung über Distanz). Alle sehen Online-Mediation als Ergänzung zur Präsenz-Mediation und wie beschrieben mitunter auch als die geeignetere Methode an.