INSPIRATION: Menschen, die bei Verhandlungen bluffen und tricksen, sind erfolgreicher. Automobilfirmen, die ihre Kunden betrügen, verkaufen mehr denn je. Sind Lügen in der Wirtschaftswelt das Mittel zum Erfolg? Fast scheint es so. In der Wirtschaftswoche (Die Kunst des Bluffs) werden einige Studien zitiert, nach denen sogenannte „weiße Lügen“ wie ein soziales Schmiermittel wirken. Wenn wir also dem Kollegen schmeicheln oder dem Personaler vorschwärmen, warum wir unbedingt in seinem Laden arbeiten möchten, dann bringt uns das voran und sorgt auch noch für positive Gefühle beim anderen.
Mit anderen Worten: Radikal die Wahrheit zu sagen, ist nicht unbedingt schlau. Wohlmeinende Lügen „helfen dabei, Freundschaften zu pflegen … und kleinere Konflikte zu glätten.“ Was wieder mal die These bestätigt: Menschen wollen belogen werden.
Anders sieht es bei notorischen Lügnern aus. Wer regelmäßig lügt, um sich einen Vorteil zu verschaffen, der sät Zwietracht und isoliert sich bald vom Rest des Teams. Allerdings: Offenbar sind wir Menschen ganz schön nachsichtig mit Lügnern. Wer zum Beispiel seinen Verhandlungspartner mit geschickten Bluffs über den Tisch zieht, der erntet sogar vom Gegner Respekt und Bewunderung – wobei ein Bluff offenbar anders rüberkommt als eine Falschaussage.
Soll heißen: Wenn ich mit leeren Drohungen arbeite oder Emotionen vorspiele, z.B. sage: „Da sind mir die Hände gebunden, dann muss ich aussteigen!“ ist das gar keine Fehlinformation, sondern leicht geschummelt. Verspreche ich aber Dinge, die ich gar nicht vorhabe einzuhalten: „Wenn Sie mir hier entgegenkommen, werde ich Ihnen dort Rabatt einräumen!“, dann funktioniert das vermutlich nur einmal. Und führt dazu, dass ich in Zukunft als Verhandlungspartner abgelehnt werde.
Irgendwie nachvollziehbar, oder? Wobei ich noch nicht mal denke, dass wir hier über verschiedene Arten von Lügen reden. Es geht vermutlich mehr um Spielregeln, die von allen akzeptiert werden. Jeder weiß, dass in Vorstellungsgesprächen ein positives Bild gezeichnet wird und wäre extrem verwundert, wenn jemand offen über seine Fehler spricht. Und jeder weiß auch, dass in Verhandlungsn geblufft wird. So wie ein Fußballspieler antäuscht, dass er einen Pass spielt und dann doch den Gegner umkurvt. Kleine Lüge, die uns große Bewunderung entlockt. Lässt er sich jedoch theatralisch fallen, obwohl ihn niemand berührt hat, kann er mit wochenlangen Pfeifkonzerten rechnen.
Es hat aber nicht nur mit Spielregeln, sondern auch mit Branchen zu tun. Banker und Versicherungsvertreter wie auch Call Center Agenten dürfen lügen, ohne dass es zu großer Empörung kommt. In Experimenten zeigt sich, dass Banker tricksen, wenn sie um Geld spielen. Ganz witzig: Wenn man sie vor solchen Experimenten daran erinnerte, welchen Job sie machen, betrügen sie mehr, als wenn man ihnen sagt, sie würden als Privatpersonen handeln. Die Rolle beinhaltet das Lügen. Und wir verzeihen es ihnen, weil wir von vornherein davon ausgehen, dass wir belogen werden.
Dort könnte auch der Schlüssel zum Erfolg von VW liegen, das trotz aller Skandale und Lügen mehr Autos denn je verkauft. Sprenger (Der Chefzyniker hat immer recht) interpretiert dieses erstaunliche Phänomen so, dass Kunden zum einen vergesslich sind und zum anderen „kühl kalkulierend, preis- und qualitätsbewusst handeln„. Und dass es daher wenig hilft, wenn man glaubt, seine Kunden mit ehrbaren, ökologisch und ethisch einwandfreien Produkten dazu bringen könnte, mehr für ein Produkt zu bezahlen.
Sehe ich anders. Ich glaube, das hängt stark vom Produkt ab. Und ein Autokauf scheint eine völlig andere Sache zu sein als der Erwerb von Hühnereiern. Wer ein Auto erwirbt, weiß, dass er die Umwelt verdreckt. Und wer an einer Marke klebt, weil schon sein Großvater Golf gefahren ist, wird sich beruhigen mit der Annahme, dass alle anderen auch bescheißen, es nur noch nicht herausgekommen ist. Das hat wenig mit Qualitäts- oder Kostenbewusstsein zu tun. Insofern ist der Begriff „Wirtschaftsethik“ in der Tat komplex und ihn auf die gesamte Wirtschaft anzuwenden, sicher mehr als fragwürdig.