27. Juli 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Nützliche Heuchelei

KRITIK: Da fühlte ich mich erst mal gut abgeholt: Unternehmen produzieren aufgeblasene Leitbilder, banale Purpose-Statements und „am laufenden Band verbalen Dünnschiss“ und wundern sich dann, wenn sie beim Heucheln erwischt werden (Schein muss sein). Genauso ist es. Aber diese Scheinheiligkeit sei kein Problem, sondern eine Lösung, behauptet Stefan Kühl. Und da fühle ich mich dann nicht mehr wohl. Die Argumentation ist folgende: Die Heuchelei muss ja einen guten Grund haben, eine Funktion erfüllen, und die sieht so aus:

Unternehmen bzw. alle Organisationen sind mit Erwartungen konfrontiert, die sie erfüllen müssen, um erfolgreich bestehen zu können. Einerseits sollen sie Profit erwirtschaften und Luxusautos liefern. Andererseits sollten sie nachhaltig handeln und die Umwelt schonen. Würde sie nur die eine Seite betonen und behaupten, man kümmere sich natürlich vor allem um den Profit, würde das einen Teil der Kundschaft bzw. der Gesellschaft abstoßen. Das ist ein hohes Risiko, so wie es auch für eine Partei ein riskantes Unterfangen ist, ausschließlich auf das C oder das S im Namen zu setzen.


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Die Konsequenz: Man baut nach außen eine hübsche Schutzhülle auf, erzählt etwas von „Gleichberechtigung“ und „Nachhaltigkeit“ und „Mehrwert“ und lässt sich damit „offen, welche Entscheidungen in einer konkreten Situation zu erwarten sind“. So brauchen also Automobilkonzerne „eine ausgeschmückte Autobühne, um ihre Autos einigermaßen ungestört herstellen zu können.“

Gleiche Funktion: Bullshit

Bevor ich mich damit näher auseinandersetze, ein zweites Beispiel: Warum grassiert allerorten der „Bullshit-Sprech“? Weil Führungskräfte vor einem ähnlichen Dilemma stehen. Sie sollen einerseits Selbstorganisation zulassen und Teams ungestört arbeiten lassen. Andererseits aber sollen sie für deren Entscheiden und Handeln die Verantwortung übernehmen. Bullshit-Sprache bietet einen Ausweg aus dem Dilemma, so wie die Hochglanz-Leitbilder für die Unternehmen. Man labert etwas von „New Work“ und macht dann weiter wie bisher. Die gleiche Lösung also: Es gilt, nach außen eine Scheinwelt zu kreieren, damit man innen handlungsfähig bleibt.

Doch Achtung, sagt Kühl, das kann auch schwer in die Hose gehen. Die größte ist der Zynismus der Mitarbeitenden. Vor allem bei jenen, die sich eigentlich mit ihrem Job und ihrem Arbeitgeber identifizieren. Die fühlen sich verschaukelt und in ihren hehren Vorstellungen verletzt. Und hier hat auch der Zynismus eine Funktion: Er schafft die notwendige Distanz, um überhaupt noch seiner Tätigkeit einigermaßen engagiert nachkommen können und nicht völlig abzuschalten. Nach dem Motto: „Der Quatsch geht auch vorbei, dann kommt der nächste und der nächste. Hauptsache, mich lässt man in Ruhe meine Arbeit machen!“ Wer also meint, mit schönen Purpose-Statements die Identifikation der Mitarbeitenden zu erhöhen, erreicht genau das Gegenteil.

So, und nun frage ich mich, was nun daraus folgt? Also weiter heucheln, weiter Bullshit produzieren, aber mit Bedacht, mit Augenmaß? Oder vielleicht so: „Liebe Mitarbeitenden, nehmt das nicht so ernst mit dem Leitbild, das machen wir nur, damit man uns in Ruhe unsere Autos produzieren lässt. Wenn Ihr also darauf angesprochen werdet, wie das denn nun wirklich mit der Nachhaltigkeit bei uns ist, dann flunkert genauso wie unsere PR-Abteilung.“ Oder die Führungskraft: „Wenn ich was von Purpose, Authentizität und Commitment fasele, hört einfach nicht hin. Das ist nur Ausdruck meines Dilemmas, damit zeige ich nach oben, dass ich den Erwartungen nachkomme, aber das meine ich natürlich nicht so.“

All das leuchtet mir nicht so ganz ein. Mag sein, dass die Heuchelei tatsächlich die Funktion erfüllen soll, die externen „Erwartungsträger“, ob nun Kunden oder Gesellschaft, oder mit Bullshit-Sprache die Mitarbeitenden zu beruhigen: Aber ist es tatsächlich eine Lösung? Um es an einem anderen Beispiel deutlich zu machen: Natürlich soll ein Schulterklopfen auch eine Lösung sein, nämlich unmotivierte Mitarbeitende wieder zu motivieren. Aber es schafft in der Regel eher Frust. Wenn das dann auffällt, kommt die Empfehlung: „Setzen Sie das Schulterklopfen mit Augenmaß ein, nicht übertreiben.“ So wie hier: Mit der Schönfärberei bzw. dem Bullshit nicht überziehen.

Selbstberuhigung

Wie wäre es mit einer anderen Erklärung: Die Heuchelei dient zur Beruhigung der Manager selbst und weniger zur Beruhigung der Öffentlichkeit. Sie vermittelt ihnen das Gefühl, wenigstens irgendwas getan zu haben, um lästige Anforderungen begegnet zu sein. „Alle Unternehmen müssen nachhaltiger werden? Na, dann schreiben wir doch auch so was auf unsere Homepage, da wird sich doch was finden lassen.“ Und es gibt dazu ja, wie Kühl schreibt, tatsächlich eine ganze Industrie, die ihnen hilft, solche Dinge in die Welt zu setzen. Oder die Führungskräfte: „Authentisch soll ich sein? Kollaborativ führen? Na, dann erzähle ich doch mal regelmäßig was von Authentizität und Mitarbeiterbeteiligung. Hört sich auf jeden Fall gut an.“

Meine Empfehlung wäre nun nicht, solche Phrasen und Floskeln einfach etwas behutsamer einzusetzen. Wie wäre es damit: „Wir könnten jetzt heucheln und auch erzählen, dass es uns vor allem um die Umwelt geht. Aber tatsächlich sieht es so aus: Die dicken Spritschlucker verkaufen sich wunderbar, damit erzielen wir gute Gewinne und das freut die Aktionäre. Also versuchen wir, den Schaden, den sie erzeugen, wo es geht zu minimieren und zumindest bei der Produktion darauf zu achten, dass …“ Und für die Aktionäre vielleicht: „Natürlich könnten wir die Blechkisten auch noch kostengünstiger in Billiglohnländern herstellen lassen, aber wir fühlen uns auch der heimischen Wirtschaft verpflichtet. Und wir optimieren unsere Produktion stetig weiter, um hier die Kosten zu reduzieren.“

Bei Führungskräften sähe das dann statt Bullhist-Sprache so aus: „Ich habe das Problem, dass ich einerseits keine Kontrolle mehr ausüben möchte und diese innerhalb des Teams realisiert werden soll. Andererseits muss ich aber Rechenschaft ablegen, wenn etwas nicht funktioniert. Ich schlage vor, dass wir folgende Kommunikationswege einhalten …“

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