KOLUMNE: „Tarifeinigung bei der Deutschen Bahn – diesmal kein Bahnstreik!“ Die ganze Nation – vor allem die regelmäßig bahnfahrende Bevölkerung – atmet nach dem Valentinstag-Wochenende hörbar auf.
Ein Blick in den Tarifvertrag zwischen der Deutschen Bahn (DB) und der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) offenbart ein interessantes Detail:
„EVG-Mitgliederbonus: Dreimalige steuerfreie EVG-Erholungsbeihilfe von je 156 € während der Laufzeit des Vertrags.“
Die größte Bahn-Gewerkschaft hat es also geschafft, eine exklusive Einkommenskomponente – auch als „Gewerkschaftsbonus“ bekannt – für ihre Mitglieder im Haustarifvertrag der Bahn zu verankern. „EVG-Mitgliederbonus: dreimalige steuerfreie EVG-Erholungsbeihilfe von je 156 € während der Laufzeit des Vertrags.“
Die EVG ist damit nicht allein. Auch in der Chemiebranche hatten sich Arbeitgeber und die Gewerkschaft im vergangenen Jahr auf einen zusätzlichen Urlaubstag pro Jahr ab 2025 geeinigt – als „Dankeschön“ nur für Gewerkschaftsmitglieder.
Grundsätzlich haben deutsche Gerichte, einschließlich des Bundesverfassungsgerichts, solche tariflichen Differenzierungen in der Vergangenheit mehrfach bestätigt – allerdings unter Auflagen, etwa dass mit einem Gewerkschaftsbonus „weder Druck noch Zwang“ auf Nichtmitglieder ausgeübt werden darf. Doch wo genau diese Grenze verlaufen soll, bleibt – wie so oft im deutschen Arbeitsrecht – eindeutig undeutlich.
Spannende Fallstudie
Jenseits der juristischen Spitzfindigkeit bietet dieses Thema, das mehr öffentliche Aufmerksamkeit verdient hätte, eine spannende Fallstudie über die gleichzeitigen Stärken und Schwächen des deutschen Konsensmodells.
Die Ausgangspositionen waren – wie so oft – stark gegensätzlich:
- „Warum sollte der Arbeitgeber die Mitgliederwerbung der Gewerkschaft mitfinanzieren?“ Klingt logisch.
- „Beschäftigte, die sich gewerkschaftlich engagieren, verdienen Anerkennung – auch finanziell.“ Ebenfalls nachvollziehbar.
In anderen europäischen Ländern eskalieren solche Gegensätze zwischen „Arbeit und Kapital“ regelmäßig zu Streiks oder sogar Straßenschlachten mit brennenden Reifen. In Deutschland hingegen führen sie zu Kompromissen.
Nach jahrelangen Verhandlungen schaffte der Gewerkschaftsbonus allmählig den Durchbruch, aber nur so weit, dass das zusätzliche Einkommen für die Mitglieder unterhalb der Höhe des jährlichen Gewerkschaftsbeitrags bleibt. Also Anreize ja, nur nicht zu viele. So geschah es in der Chemiebranche – und nun auch bei der Deutschen Bahn. Frei von Arbeitskampf.
Auftürmen von Komplexitäten
Zu den Schwächen des deutschen Konsensmodells zählt das Auftürmen von Komplexitäten: Jede „tarifpolitische Innovation“ bedeutet für die Personaladministration zusätzlichen Aufwand – mit neuen Prozessen, vor allem aber mit zahlreichen Ausnahmeregelungen. Einmal geschaffene „Innovation“ wird irgendwann zu „Besitzstand“, der jahrzehntelang bestehen bleibt, selbst wenn die ursprünglichen Bedingungen längst überholt sind.
Ein Beispiel dafür ist die „tarifliche Altersfreizeit“ in der Chemiebranche – eine sinnvolle Innovation der 1980er-Jahre. Als ich vor 20 Jahren nach Leverkusen kam, wurde sie dort bereits augenzwinkernd „Mumientage“ genannt. Heute, 40 Jahre nach ihrer Einführung, existiert sie immer noch – trotz völlig veränderter Arbeitsrealitäten.
Auch die Einführung des Gewerkschaftsbonus, das jüngste Beispiel der deutschen Konsenskultur, birgt langfristige Risiken. Sie betreffen sowohl den innerbetrieblichen Frieden als auch die Stabilität der Tarifbindung, insbesondere die Bereitschaft der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), dem Flächentarif treuzubleiben.
Dabei gäbe es Alternativen: Anstatt dass jede Branche im Namen der Tarifautonomie das Rad neu erfindet, hätte eine einheitliche steuerliche Regelung für Gewerkschaftsbeiträge allen geholfen. Die mühsame Diskussion darüber, ob mit dem Gewerkschaftsbonus der Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ noch gilt, wäre dann gar nicht erst entstanden.