KOLUMNE: Das wertvollste DAX-Unternehmen, SAP, macht immer wieder Schlagzeilen wegen der Leistungsbeurteilung der Mitarbeitenden.
Im Juni 2017 titelte die FAZ über ein damals neu eingeführtes System: „Schulnoten für (SAP-)Mitarbeiter sind nicht zeitgemäß“. Ende 2023 hieß es erneut: „Ein neues Bewertungssystem bei SAP sorgt für Unruhe“. Und in den letzten Tagen konnte man lesen: „Wie in den Schulen – SAP verteilt Kopfnoten für Mitarbeiter“ (Handelsblatt).
Die wechselhafte Haltung der Konzernführung bietet Angriffsflächen. Die Arbeitnehmervertreter der SAP Deutschland-Organisation scheinen stets über die besseren Medienkontakte zu verfügen – und sie gekonnt zu nutzen. Hinzu kommen Berichte und Kommentare von Menschen, die selbst wenig Praxiserfahrung mit solchen Systemen haben. Das Ergebnis: eine wirre Diskussion, in der wichtige Grundsätze völlig untergehen.
Ein neues System: kontinuierliches Feedback im Mittelpunkt
Die eigentliche Revolution im Haus SAP wurde von dem langjährigen Personalchef Stefan Ries angeführt. Er setzte 2017 konzernweit ein neues System durch, das den „ständigen Feedback-Prozess“ zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden in den Mittelpunkt stellte. Der selbstgesteuerte und kontinuierliche Austausch über Leistungsbereitschaft und -erbringung – ohnehin eine Notwendigkeit in der heutigen Geschäftswelt – sei der weitaus größere Hebel für ein effektives Performance-Management, so der Ansatz. Statische Zielvorgaben und stichtagsbezogene „Review-Meetings“ galten dagegen als längst überholt. Der Fokus der HR-Abteilung sollte sich dadurch verlagern von der Rolle des „Performance-Management-Administrators“ hin zum Coach und Begleiter dieses individuellen und dynamischen Dialogprozesses.
Es war ein mutiger und richtiger Schritt – damals wie heute. Doch es war auch absehbar, dass das System von Anfang an auf Kritik von allen Seiten stoßen würde. Viele Manager, die in ihrer Laufbahn nichts anderes als formel- und notenbasierte Beurteilungssystem kennengelernt hatten, taten das Konzept als „Kuschelpädagogik“ ab. Der Betriebsrat wiederum, traditionell gegen „Leistungsdruck“ eingestellt und dem Dialog-Ansatz deshalb nicht abgeneigt, forderte vehement die Wahrung von „Objektivität“.
Nach sieben Jahren ist das Experiment in Walldorf nun endgültig gescheitert. Drei Diagnosen von mir, der selbst in zwei Unternehmen ähnliche Konzepte umgesetzt hat – beide sind noch lebendig.
Worum geht es eigentlich?
Erstens: Die Schulnoten hätte man beibehalten können, ohne die zentrale Philosophie zu beschädigen. Denn jede Führungskraft hat ohnehin eine zumindest grobe Einordnung der Teammitglieder nach Leistung im Kopf. Dann ist es nur folgerichtig, den Mitarbeitenden mindestens einmal im Jahr, zusätzlich zu den fortlaufenden Performance Dialog, offen zu sagen: „Du, was du machst und wie du es machst, ist für mich sehr gut, gut oder nicht so gut.“ Mehr Abstufungen braucht es nicht für die Praxis. Diese Offenheit markiert nicht ein endgültiges Urteil von oben. Sie ist die Einladung für eine neue Runde des Dialogs. SAP verwendet neuerdings die Kategorien „Performer“, „Achiever“ und „Improver“. Na, wenn’s denn so sein muss …
Zweitens: Die Abschaffung von Schulnoten als zentrales kommunikatives Aushängeschild überschattete den eigentlichen Kern des – inzwischen alten – SAP-Systems: die Bildung und Aufrechterhaltung von VERTRAUEN zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden – über Höhen und Tiefen einer oft mehrjährigen Zusammenarbeit hinweg.
Ohne ein belastbares Vertrauensverhältnis kann kaum ein kritisches Feedback – das zentrale und fragilste Element von Performance Management – funktionieren. Viele Manager scheuen sich davor, dieses „nicht so gut“ offen auszusprechen, obwohl es immer wieder angebracht wäre. Sie verstecken sich lieber hinter Formeln und Kennzahlen. Das in der Presse kolportierte neue System wird diese Tendenz fortan wieder verstärken. Andere Manager wiederum verstehen kritisches Feedback als Machtmittel oder Mutprobe – und wundern sich, wenn sich die Empfänger dagegen wehren oder davor flüchten. Eine paritätische Kommission im Namen der „Objektivität“ wie es sie jetzt bei SAP wieder geben wird, kann daran – bestenfalls – nichts ändern.
Vertrauen – und Leistungskultur
Das System unter Stefan Ries zielte mit dem kontinuierlichen Dialog darauf ab, Manager zu befähigen, genau diese delikate, zugleich alltägliche Aufgabe des kritischen Feedbackgebens souveräner zu meistern. Vielleicht hätte Ries lauter sagen müssen: „Mein System stellt in Wirklichkeit härtere Anforderungen an Führungskräfte als formelbasierte Performance-Matrizen, die oft nur Scheinobjektivität suggerieren.“
Wenn jedoch der amtierende SAP-CEO das alte Ries-System (in der SZ) nun so beschreibt – auch um seine Kurskorrektur zu rechtfertigen – nämlich mit den Worten: „Wenn alle sich gegenseitig auf die Schulter klopfen, bringt das niemanden weiter“, dann lief entweder bei der Umsetzung des Konzepts etwas gehörig schief. Oder Herr Klein hat das Konzept nicht verstanden.
Drittens: Wozu macht man überhaupt „Performance-Management“? Um das Potenzial, das in den Menschen UND im Geschäft steckt, besser zu heben. Wenn man sich zu dieser Zweckbestimmung bekennt, dann denkt man über die Rahmenbedingungen nach, die dies optimal ermöglichen. Wann nimmt ein Mensch Kritik (eher) an? Wann ist er oder sie (eher) bereit, an sich zu arbeiten und sich zu verändern? Nur solche Veränderungen sind nachhaltig.
Für die versierten MWonline-Leser kann ich ein paar Gedankenschritte überspringen und direkt zur letzten Schlussfolgerung kommen: Wer ein ehrlicheres und dadurch effektiveres Performance-Management im oben verstandenen Sinne will, muss es konsequent von der Geldverteilung, insbesondere den Jahresboni, entkoppeln. Das gilt übrigens auch für die Vorstandsvergütung.
Die Forderung nach einer „Leistungskultur“, wie Herr Klein sie will – und wie sie alle CEOs und Aufsichtsräte wollen –, beginnt mit genau diesem Schritt – oder Schnitt.