INSPIRATION: Weiter geht es mit der Serie von Friedemann Schulz von Thun zur Frage, was ein erfülltes Leben ausmacht. Es ging mir bei der Lektüre wie bei den vorangegangenen Teilen: Alles nicht wirklich neu, aber es tut einfach gut, wenn es jemand so auf den Punkt bringt (Der Wert des Augenblicks). Worum geht es diesmal? Um „Selbsterfüllung“ und die Frage, inwieweit wir uns bewusst sind, dass unser Dasein an sich Erfüllung ist? Und sind wir davon berührt? Begreifen unser Leben als „gigantisches Geschenk der Himmels“?
Was erst mal etwas abstrakt wirkt, wird sofort nachvollziehbar, wenn wir uns klar machen, wie wir tagtäglich unterwegs sind. Beispiel: Wir fahren mit dem Rad zum Supermarkt, die Sonne scheint, wir spüren unsere Muskeln, die Luft, die Wärme usw. Und was ist diese Radtour? Ein Mittel, um zu einem Ziel zu kommen. Und das bestimmt nahezu unser ganzes Leben. Denn wenn wir das Ziel erreicht haben, dann kommt der Einkauf – nichts anderes als ein weiteres „Um-zu“. Wir kaufen ein, um unseren Kühlschrank zu füllen und uns etwas zu kochen. Das Gleiche gilt dann für das Kochen. Und so geht es weiter.
Anzeige:
Produktiv und kreativ bleiben und morgens wieder mit Freude und Elan in den neuen Tag gehen. Zur Webseite...
Nicht anderes ist es mit den größeren Themen des Lebens: Wir studieren, um zu … Wir arbeiten, um zu … Ja selbst den Urlaub verbringen wir, um zu … Was wiederum bedeutet, dass wir, während wir all das absolvieren, auf das „Eigentliche“ warten. Das Ziel das wir anstreben. Nur ist das, wie gezeigt, in der Regel auch nur ein „Um zu“. Erinnert an „der Weg ist das Ziel“.
Augenblickzauberer
Die Alternative: Unser von jeder dieser Handlungen berühren zu lassen, sie „für sich“ wahrnehmen und genießen. Oder, wie Schulz von Thun es ausdrückt, dem inneren Team ein weiteres Mitglied hinzufügen, den „Augenblickzauberer“. Oder „Schwester Achtsam“. Diese Teammitglieder hin und wieder aktiv ins Spiel bringen und auf sie hören.
Wenn das vielleicht beim Radfahren oder Kochen manchmal ganz gut gelingen mag, so schwierig wird es bei Dingen, die wir nicht nur einfach so geschehen lassen, sondern die uns sogar stören. Ein Beispiel, bei dem ich mich ertappt fühle: Die Partnerin läuft im Wohnzimmer hin und her und „kramt herum“ und ich denke: „Wann ist sie endlich fertig, damit ich weiter in Ruhe lesen kann.“ Wäre doch toll, wenn in diesem Moment Bruder Achtsam auf den Plan tritt und ich feststelle, was für ein schöner Moment das ist: „Da ist jemand, der sorgsam darauf achtet, dass es schön bei uns ist, und der Freude daran hat. Wie gut habe ich es!“
Sollwert-Schraube
Neben der „Entwertung des Augenblicks“ gibt es einen weiteren Mechanismus, der uns davon abhält, den jeweiligen Moment zu genießen – die „Sollwert-Schraube“. Wir vergleichen den Moment mit dem, was „eigentlich sein sollte“ – einem Soll-Zustand. Witziges Beispiel: Das tolle Bild, das leicht schief an der Wand hängt. Dann können wir das Bild, egal wie großartig es ist, nicht genießen.
Natürlich hat auch dieses Muster seine Berechtigung. Wenn wir alles so hinnehmen würden wie es ist und uns an allem ständig erfreuten, gäbe es keinen Fortschritt, keine Veränderung. So wie wir ständig neue Ziele anstreben, so wollen wir auch ständig den besseren Zustand herstellen.
Aber es wäre auch ziemlich hilfreich, hin und wieder ein weiteres Teammitglied zu Wort kommen zu lassen: Bruder Würdigung. Wir könnten das Bestehende würdigen UND an der Verbesserung eines nicht optimalen Zustandes arbeiten. Oder akzeptieren, wenn er – zumindest für mich in diesem Augenblick – nicht zu optimieren ist. Wenn ich beim Arzt sitze und warte, kann ich mich darüber aufregen, dass offenbar dessen Zeitplan (mal wieder) völlig aus dem Ruder gelaufen ist. UND ist kann mich darüber freuen, dass es diese medizinische Versorgung gibt, die mir Heilung verspricht.
Vergleichsschraube nach unten?
Ob die „Vergleichsschraube nach unten“ eine gute Alternative ist – da bin ich nicht so sicher. Gemeint ist, dass statt sich an dem „Besseren“ zu orientieren und deshalb unzufrieden zu sein, man den Moment mit einem in der Vergangenheit vergleicht, als es uns schlechter ging. Oder mit Menschen, die ganz andere Dinge erleiden müssen.
Ich glaube, das funktioniert nicht wirklich, weil vergangenes Leid schnell verblasst. Und bei den Schicksalen anderer uns sofort auch jene einfallen, die es viel besser haben. Die Möglichkeit, das Negative wahrzunehmen UND gleichzeitig das Positive zu würdigen, halte ich für machbarer.
Zum Thema Vergleiche: Man vergleicht sich ja ständig – mal mit Leuten, die scheinbar weiter oder besser sind, mal mit denen, bei denen man sich selbst besser fühlt. Und je nachdem, in welche Richtung der Vergleich geht, fühlt man sich danach motivierter oder eher klein. Spannend wird’s, wenn Neid ins Spiel kommt: Manchmal ist er so ein Anstoß, selbst was zu verändern – so eine Art „Das will ich auch können!“ (das wäre der gute, antreibende Neid). Und manchmal zeigt er sich eher missgünstig – da wünscht man anderen insgeheim, dass es ihnen nicht mehr so gut geht. Am Ende ist für mich die entscheidende Frage: Bringt mich der Vergleich oder Neid dazu, etwas Positives für mich daraus zu machen – oder geht’s nur darum, anderen etwas zu neiden? Das macht, denke ich, den größten Unterschied.