5. Oktober 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Integriertes Denken

INSPIRATION: Es gibt Aussagen, die offenbar niemand mehr hinterfragt, weil sie uns so oft präsentiert wurden, dass sie als unumstößliche Wahrheiten gelten. Eine davon ist die Feststellung, dass die Welt heute viel komplexer, mehrdeutiger, unbeständiger und unsicherer ist (VUCA). Ist das so?

Einer, der das skeptisch sieht, hat ein sehr lesenswertes Interview im Harvard Business Manager gegeben. Es ist der Kanadier Roger Martin, jüngst zum einflussreichsten Managementvordenker gekürt. Es sagt darin: „Meine Sicht zu der These, die Welt sei heute volatiler und disruptiver als je zuvor, ist folgende: Alle Menschen in der Geschichte der Erde haben geglaubt, dass sie aktuell in der turbulentesten, sich am schnellsten verändernden und unsichersten Zeit leben.“ Seine Erklärung dafür ist auch interessant. Was in der Vergangenheit war, können wir heute erklären, das gibt Sicherheit. Wir wissen ja, was geschehen ist. In der Gegenwart hingegen blicken wir nach vorne, und die Zukunft ist ungeklärt. Das fühlt sich unsicher und beunruhigend an.


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Und ich möchte ergänzen: Mit der Unsicherheit lassen sich prima Geschäfte machen, denn alle, die Lösungen für die Zukunft anbieten, und dann noch versprechen, dass diese auch noch ganz einfach sind (wie die Populisten an allen Ecken und Enden), der gibt ein Stück Orientierung und damit die ersehnte Sicherheit.

In der Tat: Wenn heute viele denken, wie dramatisch es doch um die Welt bestellt ist, sei es politisch oder wirtschaftlich oder ökologisch – man stelle sich nur vor, man hätte in Zeiten zu Beginn des 2. Weltkrieges Menschen befragt, wie sie die Gegenwart einschätzen.

Der Unterschied zu damals ist vielleicht nur der, dass es vor 75 Jahren mehr Menschen irgendwo auf der Welt gab, die von all den Turbulenzen nicht betroffen oder zumindest über diese gar nicht informiert waren. Heute werden wir zugeschüttet mit Meldungen aus jedem Krisengebiet, da könnte der Eindruck der Unsicherheit und Komplexität in der Tat viel schneller entstehen.

Nur was tun? Martin rät dazu, sich mehr Zeit zum Nachdenken zu nehmen. Dafür haben wir keine Zeit, wird vermutlich die Antwort vieler Manager und Politiker sein. Zu dumm – wenn gegen Aktionismus eigentlich nur Nachdenken hilft, aber ich zum Nachdenken keine Zeit habe, weil ich ja agieren muss – wie soll das gehen?

Mehr nachdenken

Die Antwort darauf hat Martin auch nicht, dafür aber Empfehlungen zur Art und Weise des Nachdenkens. Er nennt es „integratives Denken“, beschrieben im Buch „Creating Great Choices„.

Der Kern des Ansatzes besteht darin, sich bei anstehenden Entscheidungen zuallererst zu fragen: „Bis wann muss ich diese Entscheidung getroffen haben?“ Anschließend arbeitet man von diesem Termin aus rückwärts und gelangt dann zu den Entscheidungen, die im Moment anstehen. Er hat ein wunderbares Beispiel für diese schlaue Art des Denkens:

Der Architekt Frank Gehry hat das Guggenheim-Museum in Bilbao mit einer eindrucksvollen Fassade aus Titan gebaut. Als die Auftraggeber, die strenge Vorgaben für die Kosten gemacht hatten, von ihm die finalen Pläne sehen wollten, reichte er alle Dokumente ein bis auf die Planung der Fassade. Hier wusste er, dass die Kosten für die Titan-Verkleidung das Budget sprengen würden. Die Alternative war eine Alluminum-Fassade, die für ihn eigentlich nicht in Frage kam. Statt nun diese in die Pläne zu schreiben, vertröstete er die Auftraggeber und gewann damit Zeit. In dieser Zeit beobachtete er die Preise für Titan, die stark schwankten. Als sie einen Tiefpunkt erreichten, teilte er dem Auftraggeber mit, dass er nun so weit sei, die Fassade zu planen. Er schlug Titan vor und auch, dass man es sogleich kaufen sollte.

Mit solchen Parabeln ist das so eine Sache – sie lassen sich schwer eins zu eins übertragen. Aber der Rat sich zu überlegen, bis wann man wirklich Zeit für eine Entscheidung hat, gleichzeitig schon mal seine Optionen und Entscheidungsalternativen prüft, ist gut. Dabei empfiehlt Martin, auch widersprüchliche Lösungen in Betracht zu ziehen und ein „entweder-oder“ nicht zu akzeptieren. Dann kann man in Ruhe warten, bis der günstigste Moment für eine Entscheidung eintritt – zur Not eben bis zum endgültigen Termin.

So wie Frank Gehry. Es akzeptierte nicht, dass er nur die Wahl zwischen „Sofort den kompletten Plan abliefern (und damit Aluminium zu wählen)“ und „den Auftrag verlieren“ hatte. Stattdessen fand er einen dritten Weg und setzte mit etwas Glück sogar seine bevorzugte Lösung durch. Was allerdings nicht das Problem löst, woher man die Zeit zum Nachdenken nimmt. 

Der kanadische Management-Professor Roger Martin erklärt, warum wir vielleicht doch nicht in der beschworenen „VUCA-„Welt leben, oder besser, dass es zu allen Epochen solche Zeiten gab. Er stellt sein Modell des integrativen Denkens vor, rät zur Besonnenheit bei Entscheidungen und macht sich Sorgen um die Macht der Konzerne. Aber auch hier bleibt er wohltuend gelassen: Auch wenn alle Märkte zum Monopol tendieren, am Ende wird es zu einer dynamischen Segmentierung kommen, die Großen werden am Rand Kunden verlieren und so mitunter ziemlich schnell schrumpfen oder gar verschwinden.

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