REZENSION: Alexander Pundt / Friedemann Nerdinger – Kontraproduktives Verhalten in Organisationen. Erkennen, verstehen, verhindern (2. vollst. überarb. u. erw. Aufl.). Hogrefe 2025.
Wer wie der Rezensent sein Berufsleben in (Groß-)Unternehmen verbracht hat, mag allein schon beim Titel des Buches zunächst schmunzeln: Natürlich (und damit auch unveränderlich?) tendieren Organisationen oder zumindest einzelne Akteure darin zu kontraproduktivem Verhalten! Allerdings – und auch das lässt sich leicht aus eigener Erfahrung bestätigen – schwankt dann das Ausmaß vor Ort auf einem Kontinuum zwischen „einigermaßen“ bis „gänzlich dysfunktional“. Damit ist es Aufforderung genug herauszufinden, was die einschlägige Forschung zum einen an Erklärungsansätzen bislang hervorgebracht hat und zum anderen, welche Interventionen sich zu Milderung anbieten.
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Und genau dies ist dann auch die Intention der beiden Hochschulprofessoren Alexander Pundt (MSB Medical School Berlin) und Friedemann Nerdinger (Universität Rostock). Mit wissenschaftlicher Stringenz definieren die beiden Autoren zunächst den Begriff „Kontraproduktives Verhalten“ und grenzen ihn von verwandten Konzepten wie „unzivilisiertes Verhalten“, „Diskriminierung“ oder „Destruktive Führung“ ab (ungeachtet der rasch fließenden Grenzen untereinander). Anschließend greifen sie zurück auf zentrale und bewährte psychologische Konzepte wie die „Theorie affektiver Ereignisse“, das „Stressor-Emotions-Modell“ oder das „Big-Five-“ bzw. „HEXACO-Modell“ einschließlich der „Dunklen Triade“ (Narzissmus, Machiavellismus & Psychopathie). Dabei weist gerade der sechste HEXACO-Faktor „Ehrlichkeit-Bescheidenheit“ den deutlichsten (negativ gepolten!) Zusammenhang zu kontraproduktivem Verhalten auf (ρ = -.42). Neben solchen ausgewählten Persönlichkeitsmerkmalen können sich aber auch innerorganisatorische Rahmenbedingungen wie zu hoher Stress am Arbeitsplatz sowie unvorteilhafte Führung (weil zu aufgabenorientiert, destruktiv, wenig authentisch-„servant“ etc.) als ursächlich bemerkbar machen. Weitere Faktoren können die Kolleginnen und Kollegen wie auch die Organisation selbst sein, einschließlich ihrer Kultur und dem daraus resultierenden Klima.
Vermeidung kontraproduktiven Verhaltens
Nach kompakten 50 Seiten „Ursachenforschung“ widmen sich die verbleibenden knapp 80 Seiten ebenfalls kompakt der Vermeidung kontraproduktiven Verhaltens. Dabei kann die Prävention durch die Einführung eines Compliance Managements, durch Organisationsentwicklung oder gezielte Führungskräftetrainings erfolgen. Weitere Möglichkeiten bietet eine diesbezüglich sensibilisierte Personalauswahl, die dann auch durch Integritätstest unterstützt werden kann.
Konkrete Manifestationen kontraproduktiven Verhaltens ergeben sich u.a. durch Mobbing, Diskriminierung oder sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Dazu kommt mittlerweile noch als moderne Form das sog „Cyberloafing“, die unzulässige, weil übermäßige Nutzung von Internetzugängen für private Zwecke (samt daraus resultierenden Produktivitätseinbußen). Als Folgeintervention gilt es, zunächst das Schweigen zu brechen, konsequent Kritikgespräche zu führen und Sanktionen notfalls auch zu eskalieren.
Grundlage für Praktiker
Wie ist das Buch zu bewerten? Zunächst einmal deutet die hier besprochene zweite Auflage darauf hin, dass es bereits seine Zielgruppe gefunden hat. Die Leserschaft profitiert dabei auch von der klaren Sprache und Aufmachung, einem angemessenen Komplexitätslevel in der Mitte zwischen „gut verständlich“ und „wissenschaftlich ambitioniert“, ohne übermäßige Vorkenntnisse vorauszusetzen. Am Ende runden praktische Fallbeispiele und ein paar Fragebögen die zuvor doch eher akademisch geprägte Darstellung ab = so far, so good.
Andererseits macht die Lektüre deutlich, dass die (Organisations-)Psychologie auch komplexe Dauerphänomene wie kontraproduktives Verhalten sehr gut in Worte fassen und sogar ein Stück weit wissenschaftlich messbar machen kann. Eine wirksame Bekämpfung von Ursachen und Auswirkungen in der Praxis hingegen bleibt dann letztlich die eigentliche „Königsdisziplin“ vor Ort. Und diese wird auch nach der Beschäftigung mit diesem Buch knifflig genug bleiben und dann auch nur wenig Grund zum Schmunzeln geben …
