INSPIRATION: Lange, bevor das Thema zum Hype wurde, entstand in einem Gasturbinenwerk von Siemens eine neue Form der Zusammenarbeit, und siehe da: Sie entwickelte sich zu einem Leuchtturm-Projekt und hat viel vorweggenommen, was heute unter „New Work“ oder „agile Unternehmen“ verbreitet wird. Eine spannende Geschichte, erzählt in der managerSeminare (Die agile Keimzelle).
Zwei Mitarbeitern in diesem Turbinenwerk machte der zunehmende Kostendruck und die Verlagerung von Produktionsstandorten ins Ausland zunehmend Sorgen und sie fanden, dass man selbst in der Lage sein müsste, bestimmte Teile der Turbinen vor Ort zu fertigen. Ein Mammutprojekt, aber der Gedanke des „Insourcings“ faszinierte die beiden. Und sie hatten Glück mit ihrem Standortleiter – denn der ließ sich von der Idee anstecken und war begeistert.
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Mit fünf Leuten machten sich die beiden ans Werk, „ein kleines Start-up innerhalb der klassischen Strukturen.“ Das Team entwickelte „eine schöne Fertigungslinie … topmodern und modular.“ Und es gelang ihnen, das Management zu überzeugen, das ihnen für die Umsetzung 12 Millionen Euro als Buget zur Verfügung stellte. Erinnert in der Tat an ein Start-up mit dem Management als Wagniskapitalgeber.
Probleme mit der Projektorganisation
Also machte sich das Team ans Werk und ging nach den klassischen Projektorganisationsregeln vor, am Ende waren 2.000 Arbeitspakete geschnürt. Doch dann kam die Ernüchterung. Die Begeisterung sprang nicht über, es gab endlose Diskussionen, es lief sehr träge, jeder beschwerte sich nur, dass er nicht weiterkam, weil andere mit ihren Paketen noch nicht fertig waren.
Die Initiatoren fragten sich, warum sich auf einmal alles so unglaublich schlecht anfühlte und kamen zu der Erkenntnis, dass es, wie in der klassischen Hierarchie, an Freiraum mangelte. Die einzelnen Gruppen hatten nicht das Gefühl, „ihre“ Fabrik zu planen, sondern nur die Arbeitspakete abzuarbeiten, die andere für sie definiert hatten. Die einzige Wertschätzung gab es dafür, rechtzeitig mit den Aufgaben fertig zu werden.
Also taten die „Musterbrecher“ den nächsten mutigen Schritt – sie erklärten das Projekt für gescheitert und wollten ab sofort auf das klassische Regelwerk verzichten. Stattdessen fragten sie im Werk herum, wer Lust hatte, mit ihnen diese Produktionslinie zu bauen. Es meldeten sich einige engagierte Mitarbeiter aus jeder Ebene. Aus ihnen bildeten sich fünf „Cluster“, die wieder wie kleine Start-ups ihren Teil vom Budget erhielten und den Entscheidungsfreiraum bekamen, den auch die „Gründer“ hatten.
Start-up-Spirit
Und siehe da: Es funktionierte. Allerdings passierte etwas, das mit der Erfahrung vieler Jahre in einer Hierarchie nicht weiter verwunderlich ist: Bei kniffligen Investionsentscheidungen wandten sich die Teams wieder an die „Leitung“ und wollten die Entscheidung abgesegnet bekommen. Die aber weigerte sich, ermutigte stattdessen zu Wirtschaftlichkeitsberechnungen und Machbarkeitsstudien.
Hier gilt es, so die Erfahrungen, einfach standhaft zu bleiben, sich die Entscheidungen nicht auf’s Auge drücken zu lassen und diese in den Gruppen zu lassen. Auch eine interessante Erfahrung: Wie die einzelnen „Mini-Start-ups“ ihre Entscheidungen treffen, wurde nicht vorgegeben. Manche arbeiten mit einfachen Mehrheiten, andere nach dem Konsent-Prinzip, wieder andere versuchen den Konsens.
Und schließlich das spannende Thema der Führungskräfte. Diese fühlten sich schon bald überflüssig – was ja auch eine logische Konsequenz von Selbstorganisation ist. Die Lösung: Man bat die Führungskräfte, ganz nach dem Grundprinzip der Selbstorganisation, sich selbst zu überlegen, wie ihre zukünftigen Aufgaben aussehen könnten. Das Ergebnis waren weitere „Cluster“: Einige schlossen sich zusammen zu einer Gruppe für Produktinnovationten, andere zu einem „Führungscluster“, das die Gruppen vor Ort in ihrer Arbeit unterstützt, z.B. bei Konflikten. Die ehemaligen Gruppenleiter suchten sich einen gemeinsamen Platz in der Produktionshalle und „sind ganz begeistert von ihrem neuen Tätigkeitsfeld.“
Das alles war und ist auch wirtschaftlich sehr erfolgreich, die Fertigungszeiten sanken um 80% und die Produktionskosten um bis zu 50%. Andere Standorte folgten dem Modell, seine Initiatoren sind mittlerweile als Organisationsentwickler und -berater tätig.