KRITIK: Herr, lass Hirn regnen! Da schlägt man ein Fachmagazin auf und darf mal wieder lesen, dass subjektive Mitarbeiterbeurteilungen ein Problem schlecht ausgebildeter Führungskräfte sind. Und dass eine HR-Beratung einen Fragebogen zur Einschätzung von „führungsrelevanten Persönlichkeitseigenschaften“ entwickelt. Hört der Unsinn denn nie auf?
Im Falle der Leistungsbeurteilungen wird zwar konstatiert, dass immer mehr Unternehmen sich mit dem Gedanken tragen, diese abzuschaffen, und in den USA bis zu 12% aller Unternehmen das auch schon gemacht haben (Leistung besser beurteilen). Es wird auch anerkannt, dass diese Verfahren häufig zu Frustration und Demotivation führen. Sowohl bei denjenigen, die schlecht beurteilt werden als auch bei denjenigen, die gut beurteilt werden, aber nichts davon haben, weil ihre Chefs alle anderen auch gut beurteilen. Es wird auch eingesehen, dass „Forced Rankings“, also der Zwang, auf jeden Fall einen Teil der Mitarbeiter kritisch einzuschätzen und den Anteil der Top-Bewertungen zu begrenzen, weniger sinnvoll sind und ausgetrickst werden.
Leistungsbeurteilungen
Aber statt konsequent zu sein und einzusehen, dass Beurteilungen von Leistungen schon von der Schule über die Ausbildung und Universität bis hinein in die Unternehmen höchst subjektiv sind, und so etwas wie die Messung menschlichen Verhaltens schlicht sinnlos ist, sucht man nach Auswegen, die da wären: Kalibrierungsrunden, Belohnung für korrekte Beurteilungen, die Zusammenarbeit mit Experten sowie Führungskräfte professionell auszubilden.
Zugegeben: Der Ansatz, sich mehrere Meinungen über Mitarbeiter anzuhören, wenn es darum geht, wer für eine bestimmte Stelle in Frage kommt oder wer mehr Geld bekommen soll, ist sicher nicht verkehrt. Setzt man dabei aber einen Beurteilungsbogen ein – was soll dabei anderes herauskommen als Durchschnittswerte? Führungskräfte belohnen, wenn sie vernünftig beurteilen. Das ist die alte Vorstellung, dass man nur genügend Anreize setzen muss, dann machen Menschen das Richtige. Im Ernst: Glaubt jemand, dass Führungskräfte besser beurteilen, wenn man ihnen dafür eine Beförderung anbietet? Und schließlich die ewig wiederkehrende Forderung nach Training. Genau hier liegt wohl der Grund, warum wir nach wir vor diesen Blödsinn lesen: Die Autoren suggerieren, dass Experten, sprich Berater, den Beurteilern das Beurteilen beibringen könnten. Als ob …
Fragenbogen für Führungseigenschaften
Womit wir beim zweiten Beitrag sind (Führungseigenschaften im Test). In diesem stellt eine Beratungsfirma einen Persönlichkeitsfragebogen vor, den sie gerade entwickelt. Zur Zeit hat er 240 Fragen, soll aber in der Endversion deutlich weniger haben. Das Ganze funktioniert so, dass man sich die Forschung zum Thema Führung vorgenommen hat und zu all den Fähigkeiten und Eigenschaften, die erfolgreiche Führungskräfte auszeichnen, nun entsprechende Dimensionen entwickelt und mit passenden Selbsteinschätzungsfragen erfasst.
Es geht los mit „Leadership Mindset“ und den vier Dimensionen „Gestalten und vorangehen“, „Integrieren und verbinden“, „Inspirieren und Neues wagen“, „Strukturieren und planen“. Dann kommen „Leadership Strategien“ mit „Überzeugen und Sinn vermitteln“, „Motivieren und aktivieren“, „Durchsetzen und steuern“ und „Entwickeln und fördern“. Die nächste Dimension heißt „Boost Factors“ mit Lernmotivation, Ambition, Selbstvertrauen und Initiative und schließlich noch die „Protactors“ mit Empathie, Resilienz, Selbstreflexion und Willensstärke.
Na, da sollte doch nun wirklich alles dabei sein, was Führung ausmacht, oder? Ich bin immer wieder verblüfft, wie sich bei solchen Modellen alles durch die Zahl 4 teilen lässt, scheint so ein Naturgesetz zu sein. Ich bin auch erstaunt, dass sich hartnäckig Dinge wie „Vorangehen“, „Motivieren“, „Sinn vermitteln“ oder „Durchsetzen“ wiederfinden. Klar, wir wissen alle, dass man Menschen nicht motivieren und ihnen auch keinen Sinn vermitteln kann. Aber vielleicht, so ganz vielleicht, gibt es ja Persönlichkeiten, die das doch können … Und die versuchen wir nun zu finden.
Auch hier geht es letztlich darum, ein Instrument zu verkaufen. In diesem Fall soll es dazu dienen, dass die Kandidaten sich selbst besser kennen lernen und entsprechend im Coaching und Training an ihren Stärken und Schwächen arbeiten können. Und natürlich wird niemals ein Personaler es wagen, die Ergebnisse zur Auswahl und Besetzung von Führungspositionen zu nutzen. Ob man jemals aufhört, nach so etwas wie „Führungspersönlichkeit“ zu suchen? Vermutlich nicht, so lange sich damit Geld verdienen lässt …