INSPIRATION: Keine Frage: Die digitalen Medien haben unsere Art zu kommunizieren verändert. Der Vergleich mit dem Buchdruck ist sicher nicht zu weit hergeholt. Die Corona-Pandemie hat die Verbreitung bestimmter Formate (Videokonferenzen) noch einmal dramatisch verstärkt, und welche Folgen die Einführung der ersten massentauglichen generativen KI auf unsere Art miteinander zu kommunizieren hat, lässt sich noch nicht absehen. Denkbar ist, dass wir schon bald die KI für uns antworten lassen, je nachdem wer sich an uns wendet.
Aber auch die gängigen Medien haben es in sich – mit Folgen für unser Konfliktverhalten (Konfliktklärung im Zeitalter digitaler Kommunikation). Besonders gravierend – und vielfach erläutert – ist die häufig fehlende Einbindung der Kommunikation in den jeweiligen Kontext. Einfaches Beispiel: Wenn ich jemanden direkt anspreche und er nicht sofort reagiert, bekomme ich mit, was ihn vielleicht davon abhält (er schaut konzentriert auf seinen Bildschirm). Antwortet er nicht sofort im Chat, muss ich spekulieren: Technische Probleme? Mit anderen Dingen beschäftigt? Sauer auf mich? Anfrage in den falschen Hals bekommen?
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Die Tücken von E-Mails
Die zweite gravierende Neuerung (auch schon im ziemlich „alten“ Kanal der E-Mails): Der Teilnehmerkreis lässt sich deutlich leichter erweitern. Damit besteht das Risiko, dass Inhalte, die aus meiner Sicht eigentlich erst im engeren Setting behandelt werden sollten, schnell einem größeren Kreis zugänglich gemacht werden – was die Gefahr von Konflikten erhöht.
Und schließlich – was vielleicht schon bald üblich sein könnte – besteht die Möglichkeit, KI für sich antworten zu lassen. Was das bedeutet, wagen wir mal nicht vorherzusehen. Vielleicht streiten sich dann die Bots miteinander – witzig.
Eine generelle Erkenntnis – und nicht nur für Mediatoren bedeutsam – lautet: „Je komplexer ein Inhalt ist, desto reichhaltiger muss das Medium sein.“ Das ist den meisten vielleicht klar, aber wird leider allzu oft missachtet. Da wird mal eben versucht, ein schwieriges Thema per Chat zu klären, mitunter einfach auch aus Angst vor der verbalen Auseinandersetzung. Was natürlich schief gehen muss. Wie oft habe ich schon Menschen, die mich gefragt haben, was sie jemandem auf eine Chatnachricht antworten sollen, gesagt: „Was auch immer, aber bitte nicht per Chat. Ruf an!“
Eine andere Erkenntnis: Die digitale Kommunikation verstärkt gerade in Teams oder Familiensystemen die Systemdynamiken. Soll heißen: „Konflikthafte Beziehungen werden durch die reduzierte Informationsdichte oft noch konflikthafter.“ In funktionierenden Beziehungen lassen sich die Einschränkungen eher kompensieren.
Nicht nur Nachteile
Aber nun hat ja jedes Ding seine zwei Seiten – das ist auch in Sachen digitaler Kommunikation und Konflikte nicht anders. Hier kommen die Vorteile: Menschen, die räumlich weiter auseinander sitzen und nur schwer zu Präsenztreffen zusammengerufen werden können, haben nun die Chance, sich zumindest über Video begegnen zu können. Terminfindung ist damit deutlich einfacher geworden, was so manchen Prozess verkürzen kann.
Hier lassen sich auch klassische Methoden der Mediation einfach nachbilden, sei es die anschauliche Darstellung von Beziehungs- und Interessenkonstellation via Whiteboard oder die separate Moderation von kleineren Gruppen in Breakout-Rooms. Noch ein Vorteil: Die Kommunikationsverläufe lassen sich viel leichter dokumentieren, z.B. über E-Mail-Verläufe oder Aufzeichnungen von Chats. Wo es früher hieß: „Das habe ich so nie gesagt!“, lässt sich heute leichter klären, was tatsächlich vorgefallen ist. Wobei natürlich Dinge wie Vertraulichkeit und Datenschutz sicher gestellt werden müssen.
Und schließlich hilft die Asynchronität manche Medien dabei, erst einmal innezuhalten und zu reflektieren, ehe man eine Antwort raushaut. So manch einer hat schon bereut, spontan reagiert zu haben – hier kann er erst mal tief Luft holen und eine Nacht über eine Reaktion schlafen.
Tipps für Mediatoren
Was heißt das nun alles für Mediatoren? Sie sollten über die Vor- und Nachteile der vielfältigen Kommunikationsmedien Bescheid wissen und frühzeitig verbindliche Leitlinien für die Parteien etablieren. Z.B. wann und was per Mail, per Video, per Chat oder in Präsenz geklärt werden kann. Sie sollten auch wesentliche digitale Eskalationsmuster kennen und ansprechen – das können so Dinge wie ungeeignete Emojis, Ausrufe- oder Anführungszeichen sein. Oder was es bedeutet, wenn man andere Menschen in den Verteiler aufnimmt. Und sie müssen die Möglichkeiten virtueller Räume kennen und diese beherrschen. Und sie den Parteien auch erklären können. Wenn technische Probleme die Prozesse verzögern oder die falschen Parteien im Breakout-Room zusammen kommen, kann da zum Desaster führen.
Im Originalbeitrag gibt es eine Tabelle, in der bestimmte Eskalationsmuster aufgeführt werden (z.B. Entwertung, Drohung, Sarkasmus, Ausweitung des Adressatenkreises usw.) sowie die dazu passenden Deeskalationsmuster (Dank aussprechen, Engagement würdigen, persönlich adressieren, Fragen stellen statt Diagnosen, eigene Irrtümer vorwegnehmen usw.). Hilfreich.