INSPIRATION: Die Zeitschrift OrganisationsEntwicklung widmete ihr erstes Heft 2020 dem Thema „Krisenmangement – Klug handeln in der Krise“. Vermutlich wären die Beiträge etwas anders ausgefallen, hätte man damals geahnt, was auf die Welt zukam. Mit interessanten Erkenntnissen aus persönlichen Krisen.
Insgesamt bin ich eher enttäuscht. Die Erkenntnisse sind allesamt nicht neu. Angefangen vom Krisenstab über Worst Case Szenarien (Grundsätze und Leitlinien zum Führen von (Unternehmens-)Krisenstäben), die Erfahrungen bei der Lufthansa mit regelmäßigen Trainings im Simulator, wofür sich andere Branchen eher nicht die Zeit nehmen (Wenn die Luft dünn wird), bis zur Krisenkommunikation (Es kann jeden treffen), bei der heutzutage auch der Einfluss der sozialen Medien berücksichtigt werden muss, um dem Ernstfall nicht auch noch ein Kommunikationsdesaster folgen zu lassen.
Für Krisen trainieren
All das dürfte sich längst herumgesprochen haben, neue oder gar wissenschaftliche Erkenntnisse finden sich hier nicht. Dafür ein Erfahrungsbericht eines Managers der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Der in Afghanistan erlebte, wie das Camp, von dem aus seine Mannschaft operierte, von einem Selbstmordattentat betroffen war, bei dem 27 Menschen starben (Wenn die Krise die Regel ist). Man hatte für eine solche Situation trainiert. Und tatsächlich reagierten die Mitarbeiter, wie sie es gelernt hatten. Von seinem Team wurde niemand verletzt (nicht wegen der antrainierten Reaktion, sondern wohl mehr dem Glück zu verdanken).
Welche Rückschlüsse er aus der Situation zog, liest sich schon interessant. So wurde noch vor Ort geprüft, wie die Stimmung war: Gab es „Panik, starke Unsicherheit, Angst um Leib und Leben?“ Nachdem feststand, dass die Gefahr vorläufig vorüber war, wurde umgehend der Ablauf reflektiert: Hatten alle richtig reagiert? Wie schnell? Passierten Fehler? Gab es etwas zu verbessern? Eine Erkenntnis: Die Standardabläufe gaben Halt und Sicherheit. Hierzu hatten auch die Trainings beigetragen, auch wenn sich der Ernstfall nicht vollständig simulieren lässt.
Und dann kommt es darauf an, dass die Führung transparent kommuniziert: Erläutern, was bekannt ist, aber auch, was man nicht weiß. Die gemeinsame Aufarbeitung hilft, und es schadet überhaupt nichts, wenn die Führungskraft zugibt, dass sie selbst nervös ist. Das erhöht sogar die Glaubwürdigkeit und stärkt das Vertrauen – „den starken Mann zu spielen macht also wenig Sinn.“ Irgendwie nachvollziehbar auch, dass die Mitarbeiter dankbar für konsequente, zeitnahe und klar kommunizierte Entscheidungen waren, die klar und präzise erklärt wurden. Und noch etwas beeindruckte den Autor, nämlich „wie pragmatisch alle Nahrung, intakte Schlafmöglichkeiten und funktionierende Kommunikationsmittel miteinander teilten.“
12 Faktoren für den erfolgreichen Umgang mit Krisen
Etwas strukturierter sind die Empfehlungen des Amerikaners Jared Diamond, der das Verhalten von Individuen in Krisen ganzer Nationen verglich, hier Parallelen fand und diese auf Organisationen überträgt. Er benennt 12 Faktoren eines erfolgreichen Krisenmanagements (Resilient aus der kollektiven Krise):
- Eingeständnis – ohne die Erkenntnis, dass man tatsächlich in einer echten Krise steckt, ist der Rest hinfällig.
- Man übernimmt selbst die Verantwortung dafür, aus der Krise wieder herauszukommen – egal, wodurch sie verursacht wurde. Diese beiden Faktoren sind essentiell, die restlichen sind in der Reihenfolge eher beliebig, keiner ist wichtiger als ein anderer.
- Selektiver Wandel: Man muss nicht alles ändern, sondern erkennen, was man beibehalten und was man aufgeben muss – die Dinge, die die Probleme verursachen.
- Sich materielle und emotionale Unterstützung bei anderen holen.
- Man orientiert sich an Vorbildern – also z.B. an Organisationen, die ähnliche Krisen bereits überwunden haben.
- Ich-Stärke – womit mehr als Selbstvertrauen gemeint ist, sondern das Besinnen auf die eigenen Stärken und Erfolge und das Bewusstsein, selbstbestimmt und nicht von anderen abhängig zu sein.
- Ehrliche Bestandsaufnahme – nach Diamond dann doch ein besonders bedeutsamer Faktor, nämlich die schonungslose Aufdeckung auch der Schwächen, um diese abstellen zu können.
- Vergangene Erfahrungen mit Krisen und diese auf die jetzige Krise übertragen.
- Geduld aufbringen und nicht erwarten, dass gleich die ersten Maßnahmen einschlagen.
- Flexibilität, um unterschiedliche Ansätze zu verfolgen und nicht für jedes Problem die gleiche Methode einsetzen.
- Zentrale Werte – wenn man weiß, wofür man steht, was einem wichtig ist und was man auf keinen Fall ändern möchte, hilft das auch sehr in Krisen.
- Wenige Beschränkungen zu haben und so eine echte Wahl. Unternehmen, die z.B. nur einen sehr begrenzten Markt bedienen oder nur wenige große Kunden haben, sind in Krisenzeiten natürlich viel anfälliger.
In dem Beitrag werden Beispiele von Staaten wie Japan im 19. Jahrhundert und auch von einigen Unternehmen herangezogen, sowohl positiver als auch negativer Art (IBM, Harley Davidson, VW, Commerzbank, Lufthansa usw.)
Ob der Beitrag so ähnlich auch nach der Corona-Krise verfasst worden wäre? Wie Staaten und Unternehmen aus ihr hervorgehen, wird sicher Gegenstand sehr vieler Falldarstellungen und Betrachtungen werden.