INSPIRATION: Brauchen Menschen Vorbilder? Und wenn ja – wer könnte als Vorbild dienen? Die hochgelobten Start-up Gründer, denen man heute huldigt? Lieber die Chefs von Familienunternehmen, die die Tradition der Gründer fortsetzen? Oder die Vorstandschefs von Konzernen, die Milliardengewinne verantworten? Oder Vertreter ganz anderer Branchen, z.B. Sportstars oder Fußballtrainer? Ich habe meine Schwierigkeiten mit Vorbildern. Auch mit der Forderung, Führungskräfte sollten Vorbild für ihre Mitarbeiter sein. Aber der Reihe nach.
Keine Frage, wenn wir aufwachsen, orientieren wir uns an anderen Menschen. Zuallerst an den Eltern, später an älteren Spielkameraden oder deren Eltern. Dann an Lehrern, Ausbildern. Und natürlich an den Menschen, die uns in den Medien begegnen: Rockstars, Sportikonen, Künstlern, Filmstars oder eben heute auch an Start-up-Unternehmern. Alle zeichnet eine Gemeinsamkeit aus: Sie sind ungemein erfolgreich. Zumindest in dem Sinne, in dem Erfolg heute in der Regel definiert wird, nämlich als wirtschaftlicher Erfolg.
Die Erfolgreichen
Unternehmer gehören zu den reichsten Menschen der Welt, Vorstandsvorsitzende wetteifern um das höchste Jahresgehalt, Sportler um den am höchsten dotierten Vertrag oder um die höchsten Preisgelder, Musikstars und Filmgrößen um die höchste Gage, Maler um das am höchsten versteigerte Werk.
Neben dem Geld gibt es noch ein weiteres Kriterium für Erfolg, nämlich die Aufmerksamkeit. In Zeiten des Internets lässt sich diese nämlich auch mit Zahlen erfassen, z.B. an der Zahl der Follower und der Likes oder der Suchanfragen. Es geht also darum, der oder die Größte aller Zeiten in irgendwas zu sein – oder zumindest seiner oder ihrer Zeit.
Was sind gute Kriterien?
Taugen sie nun als Vorbilder? Dazu wäre erst mal die Frage zu klären, was eigentlich mit Vorbild gemeint ist. In der Jugend sind es Beispiele, an denen wir uns orientieren können, um eine eigene Identität zu entwickeln. Aber irgendwann sind wir (hoffentlich) erwachsen, mit einer entwickelten Persönlichkeit und einer eigenen Identität – brauchen wir dann immer noch Vorbilder?
Meine These: Wir benötigen eigentlich keine Menschen als Vorbilder, sondern nur vorbildliches Verhalten. Wer einem begnadeten Künstler zusieht und sich etwas abschaut, der orientiert sich an dessen Fähigkeiten, die im Verhalten zum Ausdruck kommen. Das Gleiche gilt für Sportler oder Musiker. Wir lernen von Vorbildern, und das endet nicht mit dem Erwachsenwerden.
Und natürlich kann ich mir auch etwas von Start-up-Gründern oder Vorstandsvorsitzenden abschauen: Ihre Ausstrahlung, ihr Auftreten, ihre Rhetorik, ihre harte Arbeit, ihr Durchhaltevermögen – was auch immer. Aber ich sollte all das nicht mit der Person verwechseln, die dieses Verhalten zeigt. Jemand, der Erfolg hat, kann auf anderen Gebieten ein A…loch sein. Oder wie die Autorin in der Wirtschaftswoche schreibt: „Soziopathen sind Idole – echt jetzt?„ Gemeint sind „Vorbilder“ wie Steve Jobs, Jeff Bezos oder Elon Musk.
Die Führungskraft als Vorbild
Bleibt die Forderung nach der Führungskraft als Vorbild. Auch hier geht es letztlich um Verhalten. Und das ist ziemlich einfach erklärt: Führungskräfte haben es mit abhängig Beschäftigten zu tun, die natürlich genau hinschauen, was ihre Chefs so treiben. Nicht, um ihre eigene Identität zu entwickeln, in der Regel auch nicht, um von ihnen zu lernen, sondern um in der jeweiligen Organisation nicht in Fettnäpfchen zu treten. Chefs zeigen mit ihrem Verhalten viel mehr als die offiziellen Regeln aussagen, welches Verhalten angesagt ist. Wer als Führungskraft bis zur Dunkelheit im Büro sitzt, demonstriert eine andere Erwartung als jemand, der mittags früh in die Pause geht und spät wiederkommt. Es ist immer wieder erstaunlich, wie weit das von Mitarbeitern geforderte Verhalten und das von Führungskräften gezeigte auseinanderklafft.
Will sagen: Nein, Führungskräfte sollen keine Vorbilder sein. Sie sollen sich nur so verhalten, wie sie es von anderen verlangen. Sollte nicht so schwer sein.
Übrigens: In der gleichen Ausgabe der Wirtschaftswoche ist ein ganz witziger Text von Konrad Fischer über Sprachbilder im Sport erschienen (Geht raus und spielt CEO!). Darin geht es auch um die Metapher des Trainers, mit der sich so mancher CEO schmückt. Kein passendes „Vorbild“, denn ein Trainer ist höchstens mit einem Produktionsleiter zu vergleichen, denn er kann in der Regel keine Personalentscheidungen treffen und muss mit den Vorgaben seiner Vorgesetzten, meist dem Sportvorstand, klarkommen.
Aber das meinen Manager wohl auch nicht, wenn sie sich als eine Art „Trainer“ ihrer „Mannschaft“ bezeichnen. Sie haben hier auch mehr das Verhalten von Trainern vor Augen oder zumindest das, was davon in der Öffentlichkeit sichtbar ist. Und das auch nur so lange, wie der sportliche Erfolg stimmt …