KRITIK: Das klingt mir nach purer Verzweiflung: Weil er nun nicht anders kann als „agil zu werden“, muss der Personalbereich sich tatsächlich bewegen. Nur wohin? Das, was er offenbar unter „agil“ versteht, sind alles alte Hüte. Offenbar wird er wirklich überflüssig. Zumindest interpretiere ich den Beitrag zweier US-Professoren im Harvard Business Manager (HR wird agil) so. Wobei schon der Einstieg stutzig macht. HR setzt demnach „auf eine Art agil light„. Gemeint ist, dass es „sich die allgemeinen Grundprinzipien zumutze macht, ohne die Instrumente… aus der Welt der Programmierer zu übernehmen.„
Wie man sich das vorzustellen hat? Vermutlich so: Überall in den IT-Abteilungen ziehen die Menschen in Teams los und lösen je nach Kundenanfrage die Probleme und Aufträge. Andere Bereiche eifern ihnen nach, und in manchen Unternehmen arbeiten schon alle so. Ganz plötzlich und unerwartet greifen all die schönen Instrumente, mit denen uns der Personalbereich so lange beglückt hat, nicht mehr.
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Wobei ich der Meinung bin, die meisten haben auf früher nicht funktioniert, man hat dennoch an ihnen festgehalten. Ich meine damit Dinge wie Zielvereinbarungen, Entgeltsysteme, Beurteilungssysteme, Performance Management, Nachfolgepläne, Management-Diagnostik, Potenzialanalysen, Feedback-Instrumente usw. usw.
Sei’s drum, nun sieht es so aus, als möchte niemand den Kram mehr haben. Was macht man also im HR-Bereich? Man passt sich dem „neuen Paradigma“ an und rettet, was zu retten ist. Die Leistungsbeurteilung wird zum Team-Feedback, bei dem Teammitglieder sich „über eine maßgeschneiderte App gegenseitig Kommentare in Echtzeit zuschicken“ können. Woanders brach man mit der Tradition, dass überall im Unternehmen vergleichbare Beurteilungskriterien gelten und bietet jetzt vier verschiedene Bewertungsverfahren an: Forscher werden anders beurteilt als Kundenbetreuer. Bei P&G hat man Leistungsbeurteilung und Entwicklungsgespräch getrennt und das Verfahren vereinfacht.
Überhaupt: Jetzt steht Feedback wieder ganz hoch im Kurs. Vor allem das Feedback der Mitarbeiter an den Vorgesetzten wird nun plötzlich als „agiles Instrument“ verstanden.
Weiter geht es mit dem Entgelt. Der Personaler hat doch tatsächlich festgestellt, dass Bonusprogramme ein ehrliches Feedback verhindern und verzichtet deshalb komplett auf Bonuszahlungen. Woanders wird mit Einmal-Boni experimentiert, es ist ja unglaublich wirkungsvoll, wenn die Belohnung sofort fließt und man nicht bis zum Jahresende warten muss.
Stichwort Nachfolgeplanung: Viele Unternehmen halten noch an langfristiger Planung fest. Wer clever ist wie Pepsi, der erstellt jedes Quartal ein Update über die Nachfolgekandidaten und ernennt erst kurz vor dem Amstantritt den neuen Stelleninhaber – die Erfahrung zeigt wohl, dass die Mitarbeiter sonst schon wieder weg sind beziehungsweise sich die Strukturen geändert haben.
Ach ja, da ist noch das Lernen. Dank der Möglichkeiten des Online-Lernens können Mitarbeiter jetzt auf diverse Onlinelernmodule zugreifen. Es ist, „als würden wir einem Schüler den Schlüssel für die Bibliothek in die Hand drücken und ihm sagen, er solle herausfinden, was er wissen müsse, und es dann lernen.“ Aber weil viele Mitarbeiter ja gar nicht wissen, welches Know how ihnen fehlt, geht man bei IBM noch weiter: Dort nutzt man künstliche Intelligenz, die das Tun der Mitarbeiter auswertet und herausfindet, was ihnen noch an Fähigkeiten und Wissen fehlt und anschließend Vorschläge macht in Sachen Stellenbesetzung und Training.
Letzteres ist in der Tat dann doch neu. Die Personalchefin von IBM erklärt im Interview, dass der Superrechner Watson von jedem Mitarbeiter einen digitalen Fußabdruck herstellt, die Treffsicherheit sei enorm (96%), das hätten Stichprobentests ergeben.
Der kluge Rechner kann aber noch viel mehr. Er erkennt die Stimmung in der Belegschaft, und zwar am Tonfall der Äußerungen in Blogs und Kommentaren (E-Mails werden angeblich nicht ausgewertet). Da hat Watson doch tatsächlich herausgefunden, dass es jede Menge negative Kommentare gab, als man die Fahrkostenregelung änderte, und während die Mitarbeiter schon Unterschriften dagegen sammelten, konnte die Personalchefin reagieren und die alte Regelung wieder einführen. Da kommen glorreiche Zeiten auf uns zu, wenn das Top-Management jetzt vom Computer erfährt, wie es ihren Mitarbeitern geht.
Mal ehrlich: Das soll nun das agile Personalmanagement sein? Klingt das nicht alles nach dem verzweifelten Versuch, weiterhin eine Rolle zu spielen und irgendwie noch mitzumischen, während die Mitarbeiter schon längst dabei sind, sich um die Kunden zu kümmern? All die beschriebenen Tools sind doch uralt, sie werden jetzt „agil“ genannt. Das ist schon ziemlich peinlich, oder?