PRAXIS: Haben Sie sich auch schon mal gefragt, wie es wohl bei Koalitionsverhandlungen nach eine Bundestagswahl zugehen mag? Aus Sicht eines Mediators sind diese hoch interessant und ein Musterbeispiel für komplexe Verhandlungssituationen. Hier könnten Erkenntnisse aus der Verhandlungstheorie wertvolle Hilfe leisten.
In der Tat habe ich mir schon häufiger überlegt, wie spannend und lehrreich es wohl wäre, bei Koalitionsverhandlungen anwesend zu sein. Und noch spannender, bei diesen als neutraler Vermittler zu dienen. Erste Erkenntnis aus einem anschaulichen Beitrag in der Zeitschrift für Konfliktmanagement (Koalitionsverhandlungen – aus der Verhandlungsforschung und Mediation lernen): „Verhandlungstaktische Gesichtspunkte sind wichtiger als gute Gründe und fundierte politische Positionen.“ Das ist jetzt noch nicht sonderlich neu.
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Erkenntnis Nr. 2: Wer daran interessiert ist, ein gutes Ergebnis zu erzielen (also eine hohe Ergebniszufriedenheit anstrebt), sollte tunlichst dafür sorgen, dass die Gegenseite mit dem Verlauf der Verhandlung zufrieden ist (Verfahrenszufriedenheit). Naja, auch noch nicht bahnbrechend. Denn in der Regel wollen ja alle Seiten ein gutes Ergebnis erzielen. Dann sollten auch alle viel Energie auf ein gutes Verfahren verwenden. Aber es ist zu befürchten, dass das nicht jedem in solchen Verhandlungen bewusst ist. Wer dann auf seinen Argumenten besteht und dem anderen nicht zuhört, wird sein Wunschergebnis schon deshalb nicht erreichen, weil er Fehler in seinem Verhandlungsverhalten macht.
Ja, aber …
Apropos Argumente: Deren Macht wird maßlos überschätzt. Argumente helfen nur, wenn es eine Entscheidungsmacht, also z.B. einen Richter, gibt. Wer auf Konsens aus ist, dem nutzen Argumente meist wenig, denn niemand kann gezwungen werden, die Argumente des anderen zu akzeptieren. Vor allem, wenn er seine eigene Position dafür aufgeben muss. Dazu kommt wohl gerade bei solchen Verhandlungen, dass die Argumente der jeweiligen Seite schon lange auf dem Tisch liegen und allen bekannt sind. Fängt man damit an, kann man sicher sein, dass sich die typische Ja-aber-Diskussion entwickelt.
Der viel bessere Weg ist die PMI-Technik. Man vereinbart einen Austausch dergestalt, dass zuerst fünf Minuten die positiven Aspekte zu einem Vorschlag genannt werden, dann fünf Minuten die negativen und dann die interessanten – die also weder positiv noch negativ sind. Als Austausch, um die Linie der anderen Partei zu verstehen, reicht das völlig aus.
Struktur!
Womit wir bei der Struktur der Gespräche sind. Am letzten Beispiel wird deutlich, wie hilfreich es ist, wenn man viel Energie in die Einigung über den Ablauf der Gespräche steckt. Also erst einmal gar nicht über Inhalte redet, sondern nur darüber, wie genau man vorgehen will: Wer sitzt am Verhandlungstisch, wie lange, wo, mit welchen Themen usw.? Erst wenn hier Einigung erzielt wurde (was schon das Verhandlungsklima sehr positiv beeinflusst), geht es an die Inhalte. Meist drängt es alle dazu, schnell loszulegen, aber hier gilt es sich zu beherrschen.
Bei den Inhalten passiert häufig, dass man „schnell in ein eindimensionales Basarverhandeln“ abgleitet. Soll heißen: Die eine Seite will den Mindestlohn, die andere nicht. Also einigt man sich auf einen solchen, aber deutlich niedriger, als die eine Seite das möchte. Die eine will ein Tempolimit, die andere nicht, also einigt man sich auf eines, mit dem beide unzufrieden sind. Hier spricht man wohl von faulen Kompromissen. Besser ist es das „Logrolling„. Man macht Tauschgeschäfte. Jede Seite priorisiert ihre Anliegen, und dann bekommt die eine Seite ihr Wunschergebnis, dann die andere. Also die eine Seite ihren Mindestlohn, die andere den Verzicht auf das Tempolimit. Das führt dazu, dass jede Seite einen Erfolg vorweisen kann und die Ergebnisse meist auch besser sind. Lustiger Satz: Die Technik „ist intellektuell anspruchsvoller …“
Und schließlich die leidige Sache mit den Posten. Hier geht es um Macht, um Einfluss auf wichtigen Gebieten, um persönlichen Karrieren. Da helfen Argumente schon gar nicht mehr. Was tun? Der Harvard Klassiker: Auf neutralen Kriterien bestehen und diese zuerst verhandeln! Gemeint ist vor allem ein „neutraler Standard„. Das könnte so etwas Banales sein wie: Reihum werden die Ministerposten ausgesucht – wie bei der Wahl der Mitspieler beim Fußball. Also auch hier steht am Anfang das „Verhandlungsdesign„.
Ob das bei den letzten Koalitionsverhandlungen im Jahr 2021 so oder so ähnlich gelaufen ist? Es scheint, als habe man einiges gut gemacht.