KRITIK: Deutschland droht mit dem Generationenwechsel von den Baby Boomern zur Gen Y eine „Führungslücke“! Ach, Herr Jemine … beinahe hätte ich meine Teetasse fallen gelassen: Was ist hier los? Muss ich mir Sorgen um meine Rente machen? Die Autoren (Next Generation Leadership) beklagen „ein Auseinanderklaffen des Bedarfs an Führung und der Bereitschaft zur Führung“. Warum? Na, ganz einfach: Es „steigen Mitglieder von Alterskohorten in Führungspositionen auf, die an ihrer Rolle als Führungskraft (ver-)zweifeln.“ Nun, auch ich verzweifele manchmal an der Kompetenz des einen oder der anderen, aber: Ist das nicht normal? Und ist die Klage der Älteren über die Jüngeren nicht auch ein alter Hut? Hat sich die Welt etwa nicht weitergedreht?
Die Gen Y sei führungsmüde, klagen die Autoren. Na ja, denke ich, sagen die Älteren – und messen mit ihrer Messlatte. Was, wenn die nachfolgenden Generationen einfach keine Lust auf deren Messlatte haben? Ah, ich bin zu schnell, das war ein editorischer Trick der Autoren: Sie haben den Köder ausgelegt und gehofft, dass ich anbeiße. Ich Trottel habe es wieder versaut! Denn jetzt starten sie ihre satte Strafpredigt. Sie entlarven die Führungsmythen der Baby Boomer. „Mythen sind dabei keineswegs neurotische Gebilde, sondern Schutzschilde gegen eine ungeschützt nicht zu ertragende Realität“ – na ja, dieses wussten wir bereits (Mythos Management). Jack Welch (Neutronen Jack) sei die Gallionsfigur dieser Baby-Bommer-Generation.
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Die Mythen der Baby Boomer
- Aktions-Mythos: Erst schießen, dann fragen, sei die Priorität. Doch was, wenn man vor lauter Aktionismus die Problem-Diagnose verpasst?
- Sieger-Mythos: Die Wettbewerbsphilosophie „Es kann nur einen geben“ sei kurzsichtig und verhindere echte Kollaboration.
- Antwort-Mythos: Impression Management statt Zuhören ließe Chancen verstreichen.
- Helden-Mythos: Die Selbstüberschätzung der Helden sei deren Achillesferse. Bescheidenheit wäre stattdessen eine Tugend.
- Angst-Mythos: Manager, die keine Angst kennen, verdrängten diese und erzeugen Kulturen der Angst.
- Mythos der starken Hand: Stärke ohne Schwäche, ohne Verletzlichkeit sei Hybris.
- Mythos vom rationalen Manager: Wer Emotionen ausklammere, werte die Hälfte des Menschseins ab.
Abtreten!
Jetzt sollen, nach Vorstellung der Autoren, die Herren (sic!) an der Spitze (Achtung, Sippenhaft: Alle Baby Boomer sind so) sich genau von diesen Glaubenssätzen verabschieden. Und ich schlage mir vor LacheAbtreten!n auf die Schenkel: Was für eine wohlfeile Kritik! Die im Übrigen nicht neu ist. Mein Blick ins Bücherregal landet auf dem Büchlein von Dirk Baecker aus dem Jahre 1994 (Postheroisches Management). Im Top-Management soll man neue Führungskultur entwickeln, schlagen die Autoren vor. Es soll also der Schwanz mit dem Hund wedeln: Denn Kultur ist Ergebnis, nicht Input-Variable. Davon scheint das Autorenduo noch nichts gehört zu haben. Denn weiter geht’s: „Top Manager*-innen [müssen] konsequent an ihrer Führungshaltung und ihrem Führungsverhalten arbeiten.“ Und wie? Schritt 1: Die Gewissenserforschung (Der Mythen-Check). Schritt 2: Die Reue und Umkehr (Das Experimentieren). Schritt 3: In Sack und Asche auf die Pilgerreise gehen (Das Durchhalten). Man kann nur die Augen verdrehen angesichts dieser Moralpredigt. Und man ahnt es doch: Auf die frommen Wünsche werden keine Taten folgen.
Denken wir diese Analyse doch den einen entscheidenden, radikalen Schritt weiter – was sich die Autoren nicht trauen. Die Moral von der Geschicht‘ kann doch nur lauten: Es ist ein „biologisches“ Problem: Die Kaste der alten Manager muss abdanken, „aussterben“. Erst dann wird sich etwas grundlegend ändern. Insofern ist das diagnostizierte Verhalten der Jüngeren doch sehr rational. Sie verweigern sich der Ochsentour. Machen Dienst nach Vorschrift. Schaufeln Sand ins Getriebe. Oder gehen in Start-ups und überall dahin, wo sie ihren Traum jetzt schon leben können.
Oder Nachsitzen im Coaching
Auf den großen Shift will unser Autorenduo nicht warten. Sie empfehlen den leidenden Top-Managern stattdessen das Coaching (vermutlich bei ihnen selbst). Das ist wie bei der Beichte: Ein paar Sünden zugeben, drei Vaterunser beten und weiter machen wie bisher. Das nenne ich Psychohygiene – und ein Geschäftsmodell.