7. Oktober 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Wünsch-dir-was-Kultur

INSPIRATION: Personaler verzweifeln: Viele Mitarbeitende und Bewerber interessieren sich nur noch für die eigenen Belange. Sie stellen besondere Ansprüche an den Arbeitsplatz, wollen ihren Hund mitbringen und am liebsten nur dann arbeiten, wenn es ihnen passt. Ob das Erleben von mehr Sinn hier helfen kann?

In der Wirtschaftswoche wird eine Gefahr für die Wirtschaft beschworen: Auf der einen Seite werden im Moment so viele Überstunden gemacht wie nie, dank Homeoffice kann man auch arbeiten, wenn man krank ist. Andererseits träumen viele Menschen davon, dass Arbeit nicht mehr der Lebensmittelpunkt ist. Am liebsten wären sie finanziell unabhängig und könnten tun und lassen, was sie wollen. Da ist von einer „Wünsch-dir-was-Kultur“ die Rede (Lustlos und begehrt). Gemeint ist natürlich die junge Generation, die offenbar so gar nicht mehr einverstanden ist mit den tradierten Arbeitsmodellen.

Eigentlich wollte ich mich mit dem Thema „Purpose“ nicht weiter beschäftigen, denn mit „Management Gimmick“ war eigentlich alles dazu gesagt. Allerdings lohnt sich es durchaus, noch einmal genauer hinzuschauen, vor allem auf die Behauptung, heutzutage suchen die Menschen mehr Sinn in ihrer Arbeit. Was man vermutlich so nicht stehen lassen kann. In einem Interview („Sinnerleben aus der Top-down-Perspektive zu managen ist problematisch“) erklärt die Soziologin F. Hardering, dass „alte Sinnquellen wie Religion und Tradition an Bedeutung verloren haben„, die Menschen also auf der Suche nach neuen Sinnquellen sind. Und dass Arbeit durchaus eine wichtige Sinnquelle ist – neben der Familie zum Beispiel. 

Suchen die Menschen heute Sinn in ihrer Arbeit?

Damit ist aber schon mal eines klar: Unternehmen sind nicht dafür zuständig, den Menschen Sinn zu vermitteln, den nämlich suchen diese sich selbst. Und wenn sie ihn in Tätigkeiten finden, die nicht mit Geld entlohnt werden, dann mag die Erwerbsarbeit durchaus einzig dem Zweck dienen, den Lebensunterhalt zu finanzieren. Sie nehmen dafür dann auch Tätigkeiten in Kauf, die ihnen sinnlos vorkommen. Ich möchte ergänzen: Das war schon immer so, nur können die Menschen heute deutlich höhere Ansprüche stellen – weil sie gebraucht werden.

Eine zweite Erkenntnis aus dem Interview: Der Zweck einer Organisation mag zwar von der Gesellschaft als höchst sinnvoll angesehen werden (Schule, Krankenhaus, Polizei …), das heißt aber noch lange nicht, dass die dort Beschäftigten in ihrer Tätigkeit Sinn erleben. Genau hier hakt das Konzept des „Purpose“: Bloß, weil ein Unternehmen auf einmal feststellt, dass es Sinnvolles leistet und das dann in wohlfeile Marketingformeln packt, wird für die Beschäftigten die Arbeit nicht plötzlich sinnvoll.

Und: Passt es?

Das nämlich hängt vor allem davon ab, ob die Arbeit zu ihnen passt (Macht Arbeit Sinn?). Genauer: Kann ich die Aufgaben gut erfüllen (Fähigkeiten) und erfülle ich sie gerne (Neigungen)? Zudem müssen sie meiner Persönlichkeitsausprägung gerecht werden: Brauche ich viele soziale Kontakte? Arbeite ich lieber allein? Liebe ich komplexe Herausforderungen? Mag ich monotone, kleinteilige Tätigkeiten? Und schließlich: Bekomme ich Rückmeldungen über das Ergebnis meines Tuns – sei es direkt von den Kunden oder indirekt über Kollegen, Führungskräfte, Zahlen, Daten …

Womit wir uns der Rolle der Organisation, vertreten durch Führungskräfte, nähern. Das mit dem höheren Sinn, dem Purpose, können sie sich schenken. Nur, weil man plötzlich entdeckt, dass man die Welt retten will oder das Leben der Kunden lebenswerter gestalten möchte, engagiert sich ein Mitarbeitender nicht mehr als vorher. Vielleicht lockt es den einen oder anderen Bewerber an, der vorher nicht auf das Unternehmen gestoßen ist, aber spätestens, wenn er feststellt, dass die Tätigkeiten nicht seinen Stärken gerecht werden, hilft es nicht mehr. Und auch in Organisationen, in denen man erwartet, dass die Menschen von der Sinnhaftigkeit ihres Tuns überzeugt sind (Stichwort Gesundheitswesen) wird man immer mehr Mitarbeitende finden, die sich frustriert zurückziehen. Einige anschauliche Beispiele finden sich hierzu bei Schnell/Hoffmann (Die helle und die dunkle Seite von Sinn im Beruf).

Falsche Debatten

Also sollte man viel mehr Wert darauf legen, schon bei der Auswahl auf die Passung, neudeutsch: Das „Matching“ zu achten. Hierzu gehört, den Kandidaten reinen Wein darüber einzuschenken, was sie auf ihrer Position erwartet. Probearbeiten bzw. Probetage können hier sehr wertvoll sein.

Ganz entscheidend, aber so oft schon geäußert, dass es fast peinlich ist, dürfte sein, dass Führungskräfte sich mit den Menschen und ihren Persönlichkeiten auseinandersetzen. Das ist tägliche Arbeit und wohl deutlich lästiger, als einmal ein Purpose-Statement zu veröffentlichen. Bei Johnson & Johnson müssen Führungskräfte im Außendienst einmal im Monat ein „Arbeitsbelastungsgespräch führen. Und auch in Sachen Rückmeldung hat man sich dort etwas ausgedacht: Jeder Mitarbeitende hat ein persönliches Punktekonto, auf das andere Lob spendieren können. Die Punkte können tatsächlich auch eingelöst werden (Lustlos und begehrt). Schon fast wieder witzig, wie man durch Tools menschenwürdigen Umgang miteinander zu ersetzen versucht.

Und natürlich, nicht zu vergessen: Das Thema Geld. Wer sich nicht fair bezahlt fühlt, kann am Ende noch so erfüllende Tätigkeiten ausüben, er wird irgendwann gehen. Wer überproportional bezahlt wird, Stichwort „Bullshit-Jobs“, wird vermutlich bleiben und sich die Sinnerfüllung woanders suchen. Im ersten Fall helfen weder passende Aufgaben noch ein hehrer Unternehmenszweck, im zweiten ist letzterer gar nicht nötig. Wie man sieht – die Sache mit dem Sinn ist komplex…

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