KRITIK: Haben wir mittleren Führungskräften jemals etwas anderes erzählt, als dass sie ihren Mitarbeitenden zuhören sollen, sie fördern und entwickeln, ihnen Feedback geben und umgekehrt sich deren Feedback anhören sollen? Ich habe vor über 30 Jahren Führungskräftetrainings durchgeführt, in denen es um nichts anderes ging, als dass sie die Mitarbeitenden in Entscheidungen einbinden sollen, ihre Bedürfnisse berücksichtigen, unterschiedliche Meinungen zulassen und Kritik ernst nehmen sollten. Einfach weil es clever ist und jede Menge Ärger erspart. Und Personalentwicklungsgespräche waren damals mehr oder weniger beliebte „Tools“, die den Führungskräften als wichtige Aufgaben „verkauft“ wurden.
Nun lese ich, dass Mittelmanager immer noch einen miesen Ruf haben, offensichtlich haben unser Trainings nichts bewirkt. Nun soll sich ihre Rolle wirklich ändern. Aber was heißt „nun“? Das lesen wir seit Jahren, und in regelmäßigen Abständen werden sie offenbar komplett ausradiert. Wie aktuell bei Bayer, Continental, BASF oder SAP. Die Leute vor Ort sollen die Entscheidungen treffen, wozu braucht man also noch Führungskräfte? Zumal diese auch noch relativ teuer sind. „Das Einsparpotential ist also groß“ (Coach statt Kontrolletti).
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Wichtig oder unwichtig?
Nix da, von wegen einsparen. Sie seien wichtiger denn je, heißt es. Nur sollen sie nicht mehr kontrollieren und anweisen, sondern Mitarbeitenden zuhören, sie fördern und entwickeln, ihnen Feedback geben … siehe oben! Und weil all das viel Zeit erfordert, sollte eine Führungskraft nicht mehr als 10 Teammitglieder führen. In dem Beitrag der Wirtschaftswoche empfiehlt eine Expertin, mit jedem Teammitglied ein Personalentwicklungspräch einmal pro Woche zu führen. Bis zu 50% der Zeit ihrer Zeit sollte sie dafür reservieren. Möchten Sie jede Woche gefragt werden, wo Sie in fünf Jahren stehen wollen?
Klingt so, als müssten die Unternehmen massiv aufstocken in Sachen Mittelmanagement. Aber offensichtlich machen sie ja genau das Gegenteil. Kann mir jemand erklären, wie das zusammen passt? Drei mögliche Erklärungen: Hier werden den „Fachjournalisten“ Märchen aufgetischt, vor allem von Beratern, die auf Aufträge hoffen. Indem sie all die vielen Führungskräfte, die immer noch kontrollieren und anweisen, zu Coachs und Mentoren umprogrammieren. Und dazu die gleichen Trainings durchführen, die wir vor 30 Jahren angeboten haben. Mehr noch: Führungskräfte sollen sogar Interviews und Fragebögen einsetzen, um die Stärken und Schwächen der Mitarbeitenden zu identifizieren. Eine Menge Schulungsbedarf. Das klingt doch sehr nach Beraterlatein …
Oder: „Billige“ Coachs einstellen?
Oder die Unternehmen sparen auf der einen Seite teure Mittelmanager ein, um „billige“ Coachs einzustellen oder bisherige Mitarbeitende mit den entsprechenden Fähigkeiten zu der neuen Gattung Führungskraft umzufunktionieren – aber weniger gut bezahlen. Wenn man ernsthaft möchte, dass die Leute vor Ort selbstständig entscheiden, wird man wohl nicht umhin können, diese besser zu bezahlen.
Dritte Erklärung: Man streicht die Ebenen (wie schon so oft) und mit dem nächsten Wechsel im Management führt man sie wieder ein, weil alle ihre „Team-“ und „Abteilungsleiter“ vermissen. Denn bei allen Forderungen nach „Mitarbeiterzentrierter“ Führung schimmert am Ende wieder die typische Sorge durch: Bei all dem darf die Ergebnisorientierung nicht in den Hintergrund geraten. Also muss irgendwann doch jemand wieder eindeutige Ansagen machen. Aber dafür braucht man Fachkompetenz und muss sich im Tagesgeschäft auskennen. Wer soll das sonst sein als der Mittelmanager?
Das klingt schauerlich und leider allzu realistisch. Ich finde immer wieder faszinierend, wie nonchalant es heißt, was „man“ alles tun „muss“, aber WIE man das tun KANN, wird nicht vermittelt. Und die Frage, ob das mittlere Management gebraucht wird oder nicht, ist so individuell, dass kein externer Ratgeber das jemals wissen kann. Und es kann auch innerhalb eines Unternehmens je nach Abteilung unterschiedlich sein.
Viel Beteiligung existiert auf dem Papier, wird aber in der Realität nicht bis in die letzte Konsequenz umgesetzt. Denn Beteiligung setzt Vertrauen voraus und Vertrauen setzt voraus, dass ich weiß, was oder wie der andere denkt.
Ein weiterer Knackpunkt ist die Unterscheidung zwischen Verantwortung und Verantwortung. Als Führungskraft trage ich zwar die Verantwortung für eine Entscheidung – und daher auch die Verantwortung für den Prozess der Entscheidungsfindung – aber die Verantwortung für den INHALT einer Entscheidung kann ich an die Mitarbeitenden abgeben. Aber diese Unterscheidung ist wichtig und darf anerkannt werden. Wie das geht, macht beispielsweise die INWIA.de vor. Mit den Risiken und Nebenwirkungen, dass das mittlere Management verschwinden kann. Aber dann eben aus der Struktur heraus und nicht von oben diktiert.