26. Juli 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Beim Zahnarzt?

KRITIK: Ob Führungskräfte Coaches ihrer Mitarbeiterinnen sein können oder sollen, wird hierzulande seit Jahrzehnten schon kontrovers diskutiert. Dabei sind die Fronten klar: Die Wissenschaft – und auch große Teile der Professionellen – lehnt das Konstrukt weitgehend ab. Doch in der Praxis erfreut es sich weiterhin großer Beliebtheit. Es muss gute Gründe dafür geben. Ich werde später darauf zurückkommen.

Autor Ralf Gasche (Häufig gestellte Fragen) ist ein alter Hase im Coaching-Business und sollte die Pro- und Kontra-Argumente kennen. Und doch bezieht er einseitig Position. Seine Argumentation erweist sich jedoch als leicht angreifbar. „Was wir heute Führung nennen, wird immer weniger greifbar,“ beginnt er seine Ausführungen. Da könnte man schon reingrätschen und fragen: erst heute? Die Mythen, Märchen und Missverständnisse zu Führung sind Legende. Und wäre das nicht Grund genug, mehr und bessere Führungsseminare zu geben? Wenn man dem Autor zustimmen wollte, dann mit der Einschränkung, dass heute gerade unter der Überschrift „Agilität“ gefühlt besonders viel Blödsinn verzapft wird.


Anzeige:

Seit mehr als 20 Jahren berate und begleite ich Mitarbeitende und Führungskräfte in Non-Profit-Organisationen, sozialen Einrichtungen, Vereinen und Verbänden bei individuellen oder strukturellen Entwicklungs- und Veränderungsprozessen. Zur Webseite...


Doch warum soll in dieser Situation die Führungskraft „als Coach“ es besonders richten können? Gasche liefert hier das richtige Argument: „wächst die Bedeutung sozialer Kompetenz und wertschätzender Führungskriterien.“ Einverstanden! „Coaching durch den Chef ist diesbezüglich ein geeigneter Ansatz, mehr zu geben als ‚nur‘ konstruktives Feedback.“ Falsch! Was Mitarbeiter primär brauchen, ist gute Führung. Gasche vollführt hier den altbekannten Hütchenspielertrick und verwechselt Führung und Coaching. Das ist nicht hinnehmbar.

Wenn Führung und Coaching verwechselt werden

Gleichdrauf geht es dann munter weiter mit „Coaching als Führungsinstrument“. Was im doppelten Sinne falsch ist: Coaching ist komplementär zu Führung, es ist eine andere Rolle. Und Führung ist eine Beziehung. Instrumente haben da nichts zu suchen. Wir sind doch nicht beim Zahnarzt! Die Ausgestaltung der Beziehung kann durch den Einsatz kommunikativer Methoden gelingen, keine Frage. Wir sprechen dann aber über Kommunikationsmethoden – und nicht über Coaching-Techniken. Wer sagt, Führung könne vom Einsatz solcher Coaching-Techniken profitieren, begeht einen Kategorienfehler. Kommunikation ist das Medium, in dem sich unser aller Leben immer und überall abspielt. „Coaching ist,“ ich zitiere mal die klassische Definition von Siegfried Greif, „eine intensive und systematische Förderung ergebnis-orientierter Problem- und Selbstreflexion sowie Beratung von Personen oder Gruppen zur Verbesserung der Erreichung selbstkongruenter Ziele oder zur bewussten Selbstveränderung und Selbstentwicklung“ (Coaching und ergebnisorientierte Selbstreflexion, S. 59).

Die Potenzialentwicklung des Mitarbeiters ist definitiv Führungsaufgabe. Da gebe ich Gasche recht, und da sind wir mit der Transformationalen Führung gut aufgestellt: Die Führungskraft als Vorbild, als Motivator, als Innovator und Personalentwickler. Führungskräfte, seid Euren Mitarbeiterinnen gute Führungskräfte! Da bin ich dabei. Coaching verlangt aber eine andere Rolle, es verlangt Freiwilligkeit, gemeinsame Augenhöhe, Distanz und Neutralität, und einen organisationalen Rahmen. Coaching ist ergebnisoffen, Führung nie.

Rollenkonflikte

Deshalb gerät man unweigerlich in einen Rollenkonflikt, wenn man beides in einer Person sein will. Was auch die Mitarbeiterin sogleich verspürt: Wer spricht da gerade mit mir: Mein Chef oder mein Coach? Was macht er mit der Offenbarung meiner persönlichen Schwächen? Trägt er mir das jetzt ein Leben lang nach? Spüre ich das an meiner Leistungsbeurteilung, vielleicht sogar an der Vergütung? Es wird in der Mehrzahl der Fälle nicht gut gehen. Die Mitarbeiterin duckt sich weg, macht gute Miene zum fraglichen Spiel. Die Führungskraft predigt Vertrauen, erntet aber Misstrauen.

Sodann gibt es da noch Themen, die die Führungskraft nichts angehen, private Themen insbesondere. Und ein Coach, so fordert der Deutsche Bundesverband Coaching (DBVC), dem auch Autor Gasche angehört, benötigt eine hochwertige Ausbildung zum Coach, die mindestens 150 Zeitstunden umfasst und über mindestens ein Jahr läuft. Wo bitte, finden solche Qualifizierungen von Führungskräften zum Coach in der Breite in Unternehmen statt? Wird man stattdessen nicht eher „par ordre du mufti“ von heute auf morgen als Führungskraft zum Coach ernannt? Doch: „Nicht jede Führungskraft [ist] als Führungskraft geeignet, und wenn die dann auch noch coachen sollen, dann kriege ich eine komplette Krise,“ zitiert Christine Lange einen Betriebsrat, den sie im Rahmen ihrer Masterarbeit interviewt hat (Die Führungskraft als Coach aus Mitarbeitersicht, S. 194).

Eine beliebte Phrase

Was also macht es in der Praxis so beliebt, von der Führungskraft als Coach zu schwärmen? Coach wird mit „modern“ assoziiert. Die Führungskraft soll nicht mehr der alte, autoritäre Vorgesetzte sein. Der Coach ist „der Gute“. Führungskräfte wollen vielleicht auch nicht als „der Alte“ angesehen werden. Sie bekommen also ein Facelifting, ein Image-Update. Aber die Mitarbeiterinnen riechen doch den Braten. Will sich da einer anschleimen? Leidet er vielleicht an seiner Rolle als Chef? Na, dann kann man ihm doch helfen, man leiert ihm als Mitarbeiter allerlei Extrawürste aus den Rippen. Das neue, gute Gefühl hat halt seinen Preis.

In der Teamarbeit profitiert man von den Kompetenzen aller – nicht nur Führungskräfte sind kompetent. Das fördert Produktivität, Innovation und Flexibilität. Empowerment der Mitarbeiter (Power to the Bauer) fordert aber auch entsprechende Rahmenbedingungen und ein neues Führungsverständnis. Mit netten Worten kommt man da nicht weit. Und Mitarbeiter wollen auch die Früchte ihrer Arbeit ernten. Hier braucht es keinen Coach. Hier braucht es eine Führungskraft, die mit ihrer eigenen Depotenzierung, mit Gruppendynamik und Vielfalt umgehen kann. Die neue Führungsrolle war mit dem Konzept der Transformationalen Führung schon gut beschrieben und erlebt seit einiger Zeit mit dem Konzept des Empowerments eine Neuinterpretation. Solches gehört in Führungstrainings. Noch einmal: in Führungs(!)trainings.

Das Konzept der Führungskraft als Coach ist so überflüssig wie die Führungskraft als Metzger, Friseur oder Busfahrer … Aber irgendwie weckt es auf den ersten Blick Hoffnungen auf eine bessere, leichtere Welt! Das ist verlockender als Zahnarzt. Und deshalb wird es angeboten und verkauft. Doch wer kümmert sich um die Kollateralschäden?

Teile diesen Beitrag:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert