KRITIK: Manchmal versteht man nur Bahnhof, wenn Manager wieder mal ein neues Konzept promoten. Englisch, noch besser Denglisch, ist dabei offenbar Pflicht. – Sonst wird man ja nicht ernst genommen, scheinen diese zu denken.
Und so ist es auch, grinse ich doppeldeutig. Nach dem ersten Schreck – Ouups! Worum geht’s? Bin ich verschnarcht, verpeilt, hänge dem Zeitgeist hinterher? Wie peinlich – hat man den Begriff schnell gegoogelt. Und grinst nun entspannt. „Alles klar, Chef …!“ Aber wirklich beeindruckt ist man nicht. Im Gegenteil: Der Name-Dropper (oh, Mist! Ich bin ja selbst einer) hat sich als Aufschneider geoutet.
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Willkommen im Bullshit-Bingo!
Soll man das ernst nehmen, was sich bei Lichte betrachtet recht simpel erklären lässt? Obwohl – es so schnell und simpel zu übersetzen, fällt mitunter nicht leicht. Was also ist ein Citizen Developer? Und wie könnte man den Begriff ins Deutsche übersetzen? Die Autoren (Citizen Developer als Erfolgsfaktor) erklären es so: Eine Organisation muss „ihre Belegschaft in die Lage versetzen, Daten fortwährend im Geschäftsalltag zu nutzen.“ Sonst wird es nichts mit dem Geschäftserfolg, aber auch nicht mit der Digitalisierung. Das ist nachvollziehbar. Nun sind die IT-Spezialisten rar und teuer. Und die Mitarbeitenden vor Ort haben oft nicht den digitalen Reifegrad, um die Digitalisierung eigenständig anzugehen und sich Daten fürs Tagesgeschäft aufzubereiten. Es offenbart sich in den operativen Bereichen oft ein tiefer (digitaler) Graben.
So wäre es doch eine gute Idee – und das ist in der Tat pfiffig, wenn auch keine revolutionäre neue Erkenntnis – man würde in diesen operativen Abteilungen so „kleine Experten“ als Assistenten schulen und andocken. Diese könnten vermitteln und unterstützen. Sie wären Brückenköpfe zur IT oder – andersherum betrachtet – Entwicklungshelfer für digitale Laien in diesen operativen Abteilungen. Doch, wie soll man sie bloß nennen? Help Desk, Info-Point, Service-Mitarbeiter, Hilfssheriffs …?
Da werden Sie geholfen
Aber sie sind noch mehr. Sie sind auch Laien-Programmierer. Sie können ein wenig mehr als die anderen. Citizen Developer sind Personen, „die innerhalb einer Abteilung oder eines Unternehmensbereichs angesiedelt sind, ein tiefes Verständnis für ihre Geschäftsprozesse haben und gleichzeitig technisch affin sind.“ Sie müssen nicht im professionellen Sinn programmieren können. Aber sie können mit Low-Code-Anwendungen arbeiten und vor Ort „geschäftsspezifische Lösungen (zum Beispiel Dashboards) schnell, flexibel und kostengünstig“ erstellen. Sollen wir sie also digitale Vorarbeiter nennen? Selbst Wikipedia tut sich arg schwer, den Begriff Citizen Developer zu erklären – und bietet keine simple Übersetzung an.
Ein Unternehmensbeispiel
Bei Evonik hat man die Rolle der Citizen Developer implementiert. Und so kann man nun Change-spezifische Erfolgsfaktoren berichten:
- Eine starke technologische Basis: Daten und entsprechend einfache Tools müssen verfügbar sein. Wenn man komplexe Sachverhalte einfach visualisieren könnte, so dass man eine gute Entscheidungsgrundlage hätte, wäre das prima.
- Klein anfangen, kontinuierlich skalieren: Der Klassiker. Man braucht einen Pilotbereich, in dem die Implementierung Erfolg verspricht. Dann bastelt man sich einen Rahmen und einen Fahrplan (Cover Story, Road Map). Und fährt die erste Ernte ein. Anschließend multipliziert man das Modell in andere Bereiche.
- Aus- und Weiterbildung als zentrale Investition begreifen: Das haben diejenigen noch nicht verstanden, die meinen, Personalentwicklung sei eh nur Chichi. Doch von nichts kommt nichts. Mit der Zeit entstehen sogar verschiedene Kompetenzlevel.
- Breite Partizipationsmöglichkeiten schaffen: Im Alltag werden in der Umsetzung viele Erfahrungen gesammelt, Probleme gelöst und Weiterentwicklungen vorgenommen. Das gilt es zu diskutieren, zu dokumentieren und zu kommunizieren. Eine Community of Practice kann entstehen.
- Kontinuierliches Lernen durch Experimente: Solches sichert die Aufmerksamkeit und die Akzeptanz. Führungskräfte sind hier aktiv gefordert, den Ball in der Luft zu halten.
Unternehmen können auf diese Weise eine Innovationskultur schaffen und den Unternehmenswert steigern, sind die Autoren überzeugt. „Der Aufbau einer datengetriebenen Organisation rückt damit in greifbare Nähe.“ – Was für ein verschwurbelter Schlusssatz! Ich kann mir wieder das Grinsen nicht verkneifen. Wobei, es sei der Evonik ja gegönnt. Nur: Bitte nennt die Kolleg:innen irgendwie anders, aber nicht Citizen Developer. Es tut echt weh in den Ohren …