4. Juli 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Doch nicht hierarchiefrei

INSPIRATION: „War doch klar“, werden die Kommentare zu diesem Beitrag lauten. Eine Fallstudie hat sich die bekannten Beispiele Zappos, Buurtzorg und FAVI angeschaut und kommt zu dem Schluss, dass am Ende dann doch ganz oben entschieden wird. Beziehungsweise dass die Kriterien, die hier an „Hierarchiefreiheit“ gestellt werden, nur zum Teil erfüllt sind.

Kleiner theoretischer Einstieg: Es gibt zwei Aspekte formeller Hierarchien. Der eine: Im Außenverhältnis benötigen Organisationen schon aus rechtlichen Gründen namentlich genannte Personen, die für den Rest der Organisation sprechen dürfen und Ansprechpartner sind. Und dann gibt es die interne Funktion. Nämlich eine Rangordnung, bei der bestimmte Befugnisse an Positionsinhaber vergeben werden, und das auf unbestimmte Zeit. Bis etwa Inhaber höherer Positionen die Personen austauschen. Also hätten wir damit schon zwei Kriterien für Hierarchie: Die Befugnis, Mitarbeiter zu befördern oder zu entlassen, und die unbefristete Übertragung der Weisungsbefugnis an einzelne „Amtsinhaber“.


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Die Autorin in der Zeitschrift Führung + Organisation (Hierarchiefreie Organisationen) hat drei weitere im Fokus: Die Informationsverteilung: In hierarchischen Organisationen verfügen die Posititionsinhaber Zugang zu Informationen, die anderen verwehrt bleiben, also z.B. was im Vorstand oder in Führungskreisen diskutiert und entschieden wird. Hinzukommen die Klassiker: Leistungsbeurteilungen und die Entscheidungen in Konflikt- und Pattsituationen.

Hierarchiefreiheit?

Diese drei plus die Vergabe einer Leitungsposition auf unbestimmte Zeit hat die Autorin nun anhand von Veröffentlichungen genauer betrachtet. Also sich angeschaut, wie dies bei den drei „Musterunternehmen“ geregelt ist. Von „echter“ Hierarchiefreiheit würde man dann reden, wenn Führungspositionen nicht unbefristet vergeben werden. Wenn die Stelleninhaber nicht das (exklusive) Recht zur Beurteilung anderer haben. Sie keinen exklusiven Zugang zu Informationen haben und sie nicht die letzte Entscheidung bei Konfliktsituationen haben.

Um das noch einmal zu betonen: Dass in jeder Organisation Menschen unterschiedliche Aufgaben und damit auch unterschiedliche Rechte haben (nicht jeder darf in ein Hochsicherheitsgebäude, nicht jeder darf in Software-Codes herumfummeln, nicht jeder darf Überweisungen tätigen usw.), ist ja noch kein Beleg für das Vorhandensein einer formalen Hierarchie.

Und die Beispiele?

Wie sieht es nun aus bei Zappos, Buurtzorg und FAVI? Zappos hat einen CEO, der auf unbestimmte Zeit im Amt ist. Es gibt „Lead-Links“, so etwas wie Teamleiter, die unbefristet im Amt sind und von oben eingesetzt werden. Bei Buurtzorg steht der Gründer unbefristet an der Spitze, darunter sind drei Direktoren, für die das Gleiche gilt. Erst auf der nächsten Ebenen endet die formale Hierachie, hier „wechseln sich gleichberechtigte Teammitglieder in der Ausübung der anfallenden Managementaufgaben regelmäßig ab.“ Bei FAVI allerdings stimmen die Mitarbeiter auch über die Position des CEOs alle fünf Jahre ab. Auch die Teamleitungspositionen werden regelmäßig neu besetzt.

Zu den erweiterten Kriterien: Die Informationsverteilung ist durch die zunehmende Digitalisierung heute viel breiter. Es wäre also denkbar, dass jeder Mitarbeiter jederzeit jeden anderen informieren könnte und umgekehrt jederzeit auf alle verfügbaren Informationen zugreifen kann. Hier zeigt sich, dass in allen „untersuchten“ Unternehmen die Informationen, die vom CEO oder anderen Positionsinhabern verteilt werden, deutlich stärker wahrgenommen und zuverlässiger verarbeitet werden als andere, so dass das bekannte Ungleichgewicht aufrechterhalten wird.

Leistungsbeurteilungen werden bei Zappos durch die Lead Links vorgenommen. Eine klassische Führungsaufgabe also, die den Personen mehr Macht und Einfluss verleiht und andere von ihnen abhängig macht. Buurtzorg und FAVI setzen hingegen auf ein Peer-Review-Verfahren, bei dem es keine Rangunterschiede gibt.

Regeln zur Entscheidungsfindung

Das wie stets schwierigste Thema schließlich ist das der Entscheidungen. Wer trifft diese, wenn sich die Teams nicht einigen können? Hat jemand die „letzte Entscheidungshoheit“? Bei Zappos und Buurtzorg gibt es Regeln zur Entscheidungsfindung, die dafür sorgen sollen, dass die Mitarbeiter vor Ort auch in schwierigen Situationen selbstständig entscheiden können. Es gibt auch mehrstufige Prozesse, wenn dies nicht gelingt, wobei ganz am Ende dann doch „ganz oben“ entschieden wird. Was ein Merkmal für die klassische Hierarchie ist. Nur bei FAVI ist man da offenbar ganz konsequent: Hier müssen sich die Teams auf eine Lösung einigen, sie können offenbar nicht nach oben delegiert werden.

Fazit der Autorin: Es kann eigentlich nur „von einer partiellen, nicht aber von einer radikalen Dezentralisierung gesprochen werden.“ Hierarchien sind selbst in modernen Organisationen tief verwurzelt. Auf sie wird intuitiv zurückgegriffen, wenn man alternativen Koordinationsprozessen nicht vertraut. Und doch zeigt zumindest ein Beispiel, dass es auch radikaler geht. Ein bisschen wenig, mag man meinen. Immerhin, würde ich sagen.

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