PRAXIS: Ein Mitarbeiter erbringt nicht die Leistung, die ich von ihm erwartet habe. Vielleicht habe ich die Erwartungen nicht deutlich gemacht. Vielleicht überschätzt er sich selbst. Vielleicht hat er auch einfach keine Lust. Wie auch immer, ein „Kritikgespräch“ ist fällig. Was nun?
In der wirtschaft + weiterbildung erklärt ein Berater, wie man so eine Kritik gekonnt artikuliert (Kritik gekonnt artikulieren). Darin finden wir mal wieder die klassischen Tipps, angefangen von der Aufforderung, dem Mitarbeiter deutlich zu sagen, was von ihm erwartet wird, über die Erläuterung der Konsequenzen, die man ergreifen wird, wenn sich das Verhalten nicht ändert bis zum unvermeidlichen Tipp, das Gespräch unter vier Augen zu führen.
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Alles richtig, aber es löst nicht das eigentliche Problem: Menschen tun sich schwer, anderen zu sagen, was ihnen nicht passt und was sie sich von ihm wünschen. Selbst wenn sie zahlreiche Schulungen in Sachen Kommunikation absolviert und gelernt haben, wie ein konstruktiver Dialog auszusehen hat. Aber einmal angenommen, trotz aller Techniken der Gesprächsführung und trotz meiner ausgesprochen konstruktiven Haltung muss ich befürchten, dass ein solches Gespräch aus dem Ruder läuft – was dann?
Das folgende Vorgehen ist eine Möglichkeit, den drohenden unangenehmen Gesprächsverlauf zu vermeiden und die Chance zu erhöhen, zu einem positiven Ergebnis zu kommen – wenn auch nicht sofort. Dazu gilt es, sich bewusst zu machen, dass in den meisten schwierigen Gesprächssituationen die „Chancen“ äußerst ungleich verteilt sind. Wenn ich mich entschieden habe, ein solches Gespräch zu führen, dann habe ich mich in Gedanken schon eine ganze Weile damit beschäftigt. Ich habe eine Reihe von Gesprächseinstiegen durchgespielt, meine Argumente sortiert, mögliche Gegenargumente berücksichtigt und hierauf Antworten entworfen. Ich bin also so gut es geht vorbereitet, wenn auch meist nicht so gut, wie ich es mir eigentlich vorgenommen habe.
Der andere hingegen wird von meinem Gesprächswunsch häufig überrascht. In den seltensten Fällen kündigen wir ein solch schwieriges Gespräch rechtzeitig an. Und wenn, dann sagen wir ihm kaum in aller Ausführlichkeit, was genau wir von ihm möchten. Was also wird passieren?
Während wir wissen, was wir sagen wollen, muss unser Gesprächspartner erst einmal mit dem Inhalt unserer Ansprache klarkommen, und gleichzeitig muss er an seinen „Gegenargumenten“ arbeiten. Er hört, was wir sagen, und während wir noch ausführen, was wir auf dem Herzen haben, formuliert er schon an seiner Erwiderung. Im Grunde ist es utopisch zu glauben, bei ihm könnten mehr als die ersten drei Sätze ankommen. Wenn wir das berücksichtigen, wäre es dann nicht besser, ihm schon zu Beginn des Gespräches mitzuteilen, dass wir gar keine Antwort haben möchten?
Wir könnten sinngemäß Folgendes sagen: „Ich habe mir einige Gedanken gemacht und möchte darüber mit Ihnen sprechen. Da mich die Sache schon etwas länger beschäftigt, habe ich mir natürlich überlegt, was ich sagen möchte, während Sie damit jetzt zum ersten Mal konfrontiert werden. Daher möchte ich einen Vorschlag machen. Wie wäre es, wenn Sie sich einfach nur anhören, was ich sagen möchte. Wir vereinbaren jetzt schon mal, wann wir uns weiter unterhalten, so dass Sie auch genug Zeit haben, sich Ihre Ge-danken zu dem Thema zu machen. Einverstanden?“
Für die meisten wird diese Form der Ansprache extrem ungewohnt sein. Natürlich wird es sie drängen, sich sofort zu äußern, und möglicherweise werden wir mehrmals darum bitten müssen, uns bis zum Ende zuzuhören und die Geschichte komplett aufzunehmen. Wenn wir zum ersten Mal so vorgehen, wird es vielleicht auch nicht gelingen, den anderen zu bewegen, sich die notwendige Zeit zu nehmen, um sich über seine Position klar zu werden.
Aber wenn wir konsequent sind, wird er dieses Vorgehen bald zu schätzen wissen. Vor allem aber wird er erkennen, dass es einfach nur fair ist, wenn er genauso viel Zeit hat, sich auf die Diskussion mit uns vorzubereiten wie wir sie im Vorfeld hatten. Was wird passieren? Einige von den Emotionen, die sich sofort einstellen, relativieren sich über Nacht. Der Gesprächspartner wird sich mit anderen austauschen, ihre Meinung einholen und im nächsten Gespräch die Sache wesentlich differenzierter und mit Abstand betrachten.
Realistisch? Mit der entsprechenden Disziplin auf BEIDEN Seiten vielleicht. Einfach ausprobieren….