INSPIRATION: In der Naturwissenschaft gilt das Experiment als Königsdisziplin. Es hilft, Hypothesen zu überprüfen, sie zu verwerfen oder aber zu bestätigen. Mit Experimenten erwerben wir neues Wissen. Sollten Unternehmen mehr Experimente wagen? Sollten sie. Nicht im Sinne der klassischen Wissenschaft, sondern „Realexperimente“. Hier werden konkrete Rahmenbedingungen verändert und man schaut, welchen Effekt diese Veränderung hervorruft. Natürlich erhofft man sich, dass diese Effekte positiv sind, denn schließlich geht es hier nicht um Grundlagenwissenschaft, sondern um Unternehmertum.
Anders ausgedrückt: Wer solche Experimente wagt, der geht das Risiko ein, dass er erwünschte positive Effekt ausbleibt – das Experiment also scheitert (was bei einem Grundlagenexperiment ja gar nicht passieren kann – es bestätigt oder widerlegt lediglich eine Hypothese). Scheitern aber ist blöd. Und deshalb halten sich Manager lieber an die bestehenden Regeln und Vorgehensweisen bzw. an das, was auch alle anderen machen. Dann wird man nie den Vorwurf zu hören bekommen: „Das musste doch schiefgehen, wie konnten Sie das nur riskieren!“ Vermeidung von Experimenten als Selbstschutz. (Dinge bewirken, die man nicht für möglich hält).
Denjenigen aber, die den Mut haben, sei das folgende Vorhaben ans Herz gelegt (Experimente):
- Man legt das allgemeine Entwicklungsziel fest, z.B. „Wir wollen eine Kultur des Vertrauens etablieren.“
- Man bildet kontraintuitive Hypothesen – Vermutungen, deren Überprüfung man in dem festgelegten Zusammenhang für lohnenswert hält. Z.B.: „Ein enges Berichtswesen verhindert Eigenverantwortung.“
- Man plant und implementiert ein entsprechendes Vorgehen, also z.B. verzichtet man für einen bestimmten Zeitraum auf Budget-Verhandlungen.
- Man beobachtet und wertet die Ergebnisse aus – legt z.B. fest, an welchen Kriterien man den Erfolg bzw. Misserfolg des Experimentes festmachen will und in welchen Abständen man diese Erhebungen macht.
- Man steigt in den nächsten Zyklus ein.
Und welche Art von Experimenten wären im Rahmen von Organisations- bzw. Führungskultur denkbar? In einem Beitrag der zfo (Experiment) werden die folgenden genannt:
- Eigeneinschätzung: Statt der üblichen Vergabe der Boni durch die Führungskraft oder nach einer Beurteilung durch selbige entscheiden Teams selbstständig darüber, wer wie stark an dem Erfolg partizipieren darf.
- Führungsverzicht: Die Führungskräfte delegieren mehrere Woche lang sämtliche Entscheidungen an die Mitarbeiter (außer jenen, zu denen sie juristisch verpflichtet sind) und schauen, was passiert.
- Freiwilligkeit: Wer an welchem Projekt mitarbeitet, wer an welchem Meeting teilnimmt, entscheiden die Mitarbeiter selbst, es gibt keine Vorgaben von oben oder eine Auswahl durch den Vorgesetzten.
- Rollentausch: Im Führungskreis tauschen Rolleninhaber für mehrere Wochen die Position – inklusiver sämtlicher Entscheidungen und Vollmachten.
Für das letzte Experiment gibt es einen konkreten Erfahrungsbericht in der zfo aus der Schweiz (Rollentausch in der Geschäftsleitung). Hier wurde der Tausch von einem festgelegten Prozess begleitet, mit strukturierter Übergabe, Protokollierung aller Entscheidungen und Beobachtungen bzw. Veränderungen und einem Abschlussbericht. Das Experiment trägt den Namen Bien Vu und wird offenbar fortgesetzt. Weil die Erfahrungen positiv waren – es gab weder das befürchtete Chaos noch gravierende Pannen, stattdessen wurden konkrete Verbesserungspotenziale entdeckt und Maßnahmen abgeleitet. Klingt mal richtig spannend.