INSPIRATION: Berufliche Rollen sind Teil einer Organisation und austauschbar, die Rolle wird durch die Erwartungen der Organisation festgelegt. In der Regel interessiert das, was wir in unserem Privatleben tun und lassen, hier nicht – solange es das Funktionieren der Organisation nicht beeinträchtigt. Daher sollte sich die Organisation auch aus unseren persönlichen Dingen heraushalten.
In der OrganisationsEntwicklung setzt sich der Soziologe Stefan Kühl mit der Thematik auseinander (Rollen und Personen). Das ist keine leichte Kost, führt aber zu sehr berechtigten Fragen. Anlass des Beitrages war wohl ein Interview in der Brand eins (Warum sachlich, wenn es auch persönlich geht), in der Kühl davor warnt, mit bestehenden Teams aus Organisationen gruppendynamische Übungen in Trainings durchzuführen und dies als „hochgradigen Übergriff“ bezeichnet. Das hatte wohl für gehörige Aufregung gesorgt und ihn veranlasst, diesen Beitrag zu verfassen.
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Die Unterscheidung von Rolle und Person
Worum geht es? Zunächst mal um die Unterscheidung von Rolle und Person. Und um Erwartungen. Wir haben an Personen ganz bestimmte Erwartungen und wissen, was wir von ihnen erwarten dürfen. Dieses Wissen haben wir durch Erfahrungen mit dem Menschen aus vielen Situationen der Vergangenheit. Es hilft uns im Umgang mit unserem Partner, mit Familienmitgliedern, Freunden und Mitgliedern in Gruppen, zu denen wir gehören. Es gibt uns Orientierung und Sicherheit.
Gruppe ist dabei ein wichtiger Begriff. Wir schließen uns Gruppen an, ob im Verein, im Freundeskreis oder in der Jugendclique. In solchen Gruppen mögen wir zwar auch einzelne Rollen innehaben (Vater, Kassierer, Protokollführer, Trainer, Betreuer …). Aber wir sind vor allem als Person Teil einer Gruppe. Sie nimmt uns auf, weil wir so sind wie wir sind und sie verstößt uns eben auch, wenn wir als Person nicht passen.
Hiervon zu unterscheiden ist die Rolle. Diese ist nicht an einen bestimmten Menschen gebunden. In Organisationen werden auch Erwartungen an die Mitglieder gerichtet, aber diese beziehen sich viel stärker auf die Rolle: „Von Führungskräften wird erwartet, dass sie …“ – unabhängig vom Träger der Rolle. Der Projektmitarbeiter ist eine Rolle, der Projektmanager, der Controller, der Personalreferent, der Betriebsrat. Und auch das Teammitglied.
Teams kann man sich nicht beliebig anschließen, wenn man möchte. Und Teammitglied wird man auch nicht aus freien Stücken, sondern weil man eingestellt und dem Team zugewiesen wird. Teams können auch keine Regeln nur für ihr Team aufstellen und durchsetzen, wenn sie den Regeln der Gesamtorganisation widersprechen. Als Teammitglied funktioniere ich in meiner Rolle, und alles, was nicht mit der beruflichen Rolle zu tun hat, bleibt außen vor, geht andere nichts an. Und wenn es Probleme in Teams gibt, dann werden diese als Rollenkonflikte betrachtet und bearbeitet, aber nicht als Konflikte zwischen Personen.
Informelle Organisation
Es gibt aber auch Konstellationen, in denen in Organisationen neben der formalen Struktur Gruppen bzw. Cliquen entstehen, die man in keinem Organigramm findet. Das passiert dann, wenn Mitglieder dem Druck nicht mehr gewachsen sind und der „kollegiale Halt“ nicht mehr genügt. Dann gibt es Cliquen der Unzufriedenen. Oder wenn sich Karrierenetzwerke oder Seilschaften bilden, in denen sich die Mitglieder gegenseitig fördern. Es gibt auch strategische Cliquen, die eigene Ziele verfolgen, die nicht auf der Agenda der Organisation stehen.
Grundsätzlich sind solche neben der offiziellen Organisation bestehende Cliquen problematisch. Manchmal funktionieren Organisationen aber nur wegen dieser Gruppen. In solchen Gruppen ist es sehr wahrscheinlich, dass sich die Mitglieder stärker als Personen einbringen, aber da sie nie offiziell existieren, sind sie auch nicht Gegenstand von „Teamentwicklungsmaßnahmen“.
Bleibt also die Frage: Nimmt man in typischen Teamentwicklungs-Workshops gruppendynamische Elemente auf, die die Mitglieder dazu bringen, sich persönlich, also „sich als Personen mit sehr unterschiedlichen Rollenbezügen“ einzubringen? Kühl empfiehlt, das nicht zu tun. Wenn gruppendynamische Trainings, bei denen es auch um persönliche Ängste, um frühere Erfahrungen und private Hintergründe geht, dann mit Teilnehmern aus unterschiedlichen Organisationen, aber nicht mit bestehenden Teams. Auf diese Weise kann man gruppendynamische Prozesse erleben und durchleben, ohne sich vor seinen Kollegen „entblößen“ zu müssen.
Bleibt für mich die Frage, wie das aussieht bei Teams, die sich tatsächlich als Gruppe fühlen. Also wie die Freunde, die ein Unternehmen gründen und sich auch weiterhin als Clique fühlen. Oder was ist mit Teams, die sich inzwischen auch in Organisationen selbst organisieren und ihre Mitglieder selbst aussuchen? Dass sich die Mitglieder hier viel stärker als Personen einbringen, wenn man auch noch am Wochenende weiter an der Geschäftsidee bastelt, ist doch mehr als wahrscheinlich. Wenn sich hieraus Entwicklungsbedarf bildet – darf man dann auch nicht an der Gruppendynamik ansetzen? Aber vielleicht ist das dann schon eher so etwas wie eine „Familientherapie“. Komplex …