21. November 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Hausgemachte Probleme

INSPIRATION: Die Architektur von Krankenhäusern ist in der Regel „krank“. Doch das sehen die dort Arbeitenden kaum. Man könnte es Betriebs- oder besser: Organisationsblindheit nennen. Ein salutogener, psychosozial unterstützender Designansatz könnte das ändern. Dann müsste man aber raus aus der Kaserne …

„Seit den 70er-Jahren bis heute wird die Krankenhausarchitektur vornehmlich an der Unterstützung und Steigerung effektiver und flexibler Arbeitsprozesse ausgerichtet.“ Man muss sich das einmal vorstellen, eine Institution, die das Wohl von Kranken reklamiert, deshalb nennt sie sich Krankenhaus, ist von ihrem Design her gar nicht auf dieses Ziel hin ausgerichtet. Nicht nur, dass die Bedürfnisse der Mitarbeitenden keine Rolle spielen, und wir wissen, wohin das geführt hat und weiterhin führt: Fachkräftemangel. Sondern die physische Architektur, die Arbeitsabläufe und die Aufbauorganisation passen überhaupt nicht zum Ziel. Das Gesundheitssystem ist durch und durch tayloristisch-bürokratisch organisiert – wie eine klassische Fabrik oder Kaserne.


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Natürlich wird das von den Verantwortlichen gerne immer wieder bestritten: „Jetzt hören sie mir mal gut zu,“ sagte seinerzeit ein Chefarzt zu mir, ich war Organisationsentwickler im Krankenhaus, das ihn wie mich angestellt hatte. „Wir bauen hier keine Autos! Wir behandeln Menschen.“ Mir hat das damals glatt die Sprache verschlagen. Heute würde ich entweder laut loslachen oder ihm antworten: „Sie lügen ja ohne rot zu werden!“

Mittlere Berufsverweildauer in der Krankenpflege: 4 Jahre

Man kann auch heute noch solche dümmlichen Sprüche hören. Und man kann auch heute noch den Kopf schütteln über ein hartnäckiges Helfersyndrom unter Pflegenden, Physio-, Ergo- und Logotherapeuten – und wie sie so alle heißen, die den Laden am Laufen halten. Man muss aber auch leider anerkennen, dass sich eben noch zu wenig geändert hat im Gesundheitssystem. Und Burnout betrifft zunehmend auch Ärzte.

Da kommt jetzt ein dreiteiliges Forschungs- und Entwicklungsprojekt daher, das (ad 1) plant, „die Faktoren einer bedürfnisorientierten Arbeitswelt im Krankenhaus“ zu identifizieren und konzeptuell zu erfassen. Ad 2 sollen „Entwurfskriterien in Form von Raumqualitäten und -zuordnungen“ definieren werden. Und zum Dritten soll „die Akzeptanz des resultierenden Architekturkonzepts“ geprüft werden. Das ist anspruchsvoll. Und spannend.

Ein System in der Krise

Die Autorinnen (Bedürfnisorientierte Arbeitswelten im Krankenhaus) fühlen dem System den Puls: Arbeit im Krankenhaus ist mehr als seine helfenden Hände an den Patienten zu bringen. So lautet ja oft die Parole von Ärzten, die sich über Dokumentationsaufwand beschweren. Doch dort arbeitet eine multiprofessionelle Belegschaft; und die anderen beschweren sich auch. Komplexität ist im Krankenhaus die Regel. Ashbys Law, so würde der systemische Organisationsberater sogleich zum Besten geben, lautet schon seit den 1950er Jahren: „Je größer die Varietät eines Systems ist, desto mehr kann es die Varietät seiner Umwelt durch Steuerung vermindern.“ Doch die Organisationsmethode im Krankenhaus ist vorwiegend noch steil hierarchisch wie beim Militär. Also das Gegenteil dessen, was Ashby raten würde.

Die Autorinnen bringen es auf den Punkt: „Speziell im Krankenhaus definiert die Literatur vier Bereiche, die bei der Entstehung von Stress ursächlich zu sein scheinen: Arbeitsorganisation, Gratifikationskrisen, fehlender sozialer und fachlicher Rückhalt durch die Kollegen und die Vorgesetzten sowie individuell fehlgeleitete Problemlösungsstrategien.“

Überall und nirgends

Und dann lenken sie den Blick auf ein Thema, das oft nicht unmittelbar ins Auge sticht. Beim Publikum nicht, aber auch nicht bei den dort Arbeitenden. Man könnte es Betriebs- oder besser: Organisationsblindheit nennen. Während man inzwischen in vielen Büroarbeitswelten Tätigkeitsbereiche entflochten hat, also Bereiche für Einzelarbeit, Gruppenarbeit, Meetings und Erholung etc. separiert hat, steht man sich im Krankenhaus immer noch gerne gegenseitig auf den Füßen herum.

Und warum? Weil es da noch die veraltete Vorstellung von Omnipräsenz gibt. Und deshalb gibt es dort auch Multifunktionsräume. „Arbeitspausen, Gespräche mit Angehörigen, Teambesprechungen, Präsentationen“ – alles findet in denselben Räumen statt; oder auf dem Flur. Und das heißt auch, eine Mitarbeitende, die soeben ein schwieriges Angehörigengespräch geführt hat, hat keinen angemessenen Rückzugsort, an dem sie durchatmen und wieder zur Ruhe kommen kann. Die Autorinnen nehmen kein Blatt vor den Mund: Vergehen an der Mitarbeitergesundheit.

Die Hierarchie prägt auch die Architektur: „Je niedriger der berufliche Rang, desto weniger Fläche steht dem einzelnen für Rückzug und zum konzentrierten Arbeiten zur Verfügung.“ Das Stresserleben wird folglich durch das Haus selbst gemacht – sagt die Architekturpsychologie. Ein salutogener oder psychosozial unterstützender Designansatz könnte das ändern. Dann ginge es dort um die menschliche Gesundheit.

Zonierung der stationären Arbeitswelt

Das wirft einige Fragen auf: Was sind die Faktoren einer bedürfnisorientierten Arbeitswelt im Krankenhaus? Wie kann man Entwurfskriterien für eine solche Architekturkonzeption entwickeln? Und wie kann man die Akzeptanz daraus resultierender Architekturkonzepte messen? Eine Faktorenanalyse identifizierte fünf berufsunabhängige bedürfnisorientierte Kategorien der Arbeit im Krankenhaus:

  • Hands-on: Arbeiten am Patienten oder im direkten Patientenkontakt.
  • Eyes-on: Arbeiten in unmittelbarer Nähe zum Patienten oder solche, bei denen man den Patienten im Blick behält.
  • Mind-on: Arbeiten mit hoher Konzentration, ohne zwingend erforderlichen oder direkten Patientenkontakt.
  • Mind-off: Regenerative Tätigkeiten.
  • Interact: Tätigkeiten der genannten vier Kategorien, mit oder ohne Interaktion zu Kolleginnen oder Kollegen.

Auf diese Weise lässt sich die kontaktbedingte Beanspruchung differenzieren. Nämlich als ansteigende kognitive und psycho-emotionale Beanspruchung sowie eine solche nach dem Grad der Interaktion. Mittels Fokusgruppentechnik wurden diesen Tätigkeiten entsprechenden Raumqualitäten zugeordnet. Damit gelingt es, die Beanspruchung der Mitarbeitenden mittels geeigneter Anordnungsprinzipien zu minimieren und die Interaktion zu steigern. Mehr noch, man kann sogar ein normiertes Raumprogramm (Prototypen) mit zwei unterschiedlichen Arbeitswelten beschreiben (Das HEMI-Architekturkonzept). – Für mich nicht überraschend, dass sich hier auch wieder ein rundes Layout herauskristallisiert, wie wir das schon an anderer Stelle gesehen haben (Wir bauen das Haus rund). Und dass man aus der zweidimensionalen Betrachtung (lange Flure) herauskommt und dreidimensional denkt: Dann liegt beispielsweise das Arztzimmer oder der Rückzugs- oder Besprechungsraum in kurzer Entfernung gleich über den Patientenzimmern. Man muss ja nicht gleich an eine Rutsche oder Stange denken wie bei der Feuerwehr. Doch so minimiert man nicht nur Laufwege.

Akzeptanz

Die Autorinnen führen eine empirische Akzeptanzstudie mit den Architekturentwürfen auf vier Dimensionen mit Ärzten durch: „Verständlichkeit“, „Nützlichkeit“, „Alltagsrelevanz“ und „Ergebniserwartung“. Die Akzeptanz erwies sich insgesamt als hoch. Interessanterweise zeigte sich aber ein Generationseffekt. Die älteren Ärzte (40+) waren weniger bereit, eine solche Architektur zu nutzen. Alter, Berufsdauer und Einkommenshöhe geben hier definitiv den Ausschlag. Ein deutliches Zeichen für die Macht der Kultur, die im Krankenhaus auf den Vornamen Hierarchie hört: Warum sollen die Jungspunde und niedrigen Chargen es denn genauso gut haben wie wir?

Diese Einstellung kennen wir nur zu genüge. Wir können sie uns aber schon lange nicht mehr leisten. Ob Bundesminister Lauterbach und seine Landeskollegen auch dieses Thema bei ihren Reformideen auf dem Schirm haben? Sonst wäre das vielleicht eine Chance, die die privaten Klinikanbieter ergreifen könnten. Mich hat jedenfalls dieses Architekturkonzept restlos überzeugt. Baut die Häuser um oder gleich neu! Aber ich weiß natürlich auch: (Stahl-)Beton ist hartnäckig.

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