7. Oktober 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Wir bauen das Haus rund

INSPIRATION: Warum hat man jahrzehntelang Krankenhäuser in Fabrikarchitektur gebaut? Es heißt doch: Form follows function? In den Hochglanzbroschüren steht zumeist: Der Mensch steht bei uns im Mittelpunkt.

Offensichtlich definieren unterschiedliche Stakeholder die Funktion anders. Er muss von allen Seiten zugänglich sein, sagt der Mediziner. Hier stört er am meisten, sagt die Reinigungskraft. Wenn er bloß nicht laufend klingeln würde, sagt die Schwester … Ich bin mal wieder arg gehässig, denkt sich da vielleicht jemand aus meiner Leserschaft. Nein, ich war Organisationsentwickler im Krankenhaus. Und wenn ich heute an der Hochschule mit Studierenden aus der Branche arbeite, denke ich, die Zeit sei stehen geblieben.


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Das Krankenhaus neu denken

Wäre das nicht eine unglaubliche Chance, wenn man die Gelegenheit bekäme, ein Krankenhaus komplett neu zu denken? Neu zu bauen. Und daran die diversen Stakeholder Anteil nehmen zu lassen?

In den Waldkliniken Eisenberg in Thüringen, ein Haus in kommunaler Trägerschaft, wurde über zehn Jahre hinweg ein Partizipationsprojekt etabliert, um einerseits den Neubau des Bettenhauses zu begleiten, aber andererseits auch den Change in Bezug auf eine gemeinsame Vision bewältigen zu können: qualitativ hochwertige Versorgung, zufriedene Patient:innen, zufriedene Beschäftigte und dies alles finanziell tragfähig.

Über dieses Projekt berichtet Knut Hüneke, der als Organisationsentwickler das Projekt lange begleitet hat, in der OSC (Partizipation und gemeinsame Vision in den Waldkliniken Eisenberg). Seit der Eröffnung des neuen Bettenhauses im Herbst 2020 hat die Öffentlichkeit an der Geschichte der Waldkliniken Eisenberg (Deutsches Zentrum für Orthopädie) große Anteilnahme genommen. Die Waldkliniken wurden durch den Stararchitekten Matteo Thun geplant. Für die runde Bauweise und das einzigartige Design gab es etliche Architekturpreise. Man muss sich das einmal vor Augen führen: Die Klinik hat die Aufenthaltsqualität eines Sterne-Hotels, ein ausgezeichnetes Catering und überzeugt mit dem Konzept der Healing Architecture/Environment. Und das alles auch für Kassenpatient:innen.

Wie alles anfing

Dass die Klinik heute zu den besten Kliniken Deutschlands gehört (Auszeichnung durch das F.A.Z.-Institut), hat eine Vorgeschichte. Im Jahr 2008 standen die Zeichen für das Haus gar nicht so gut. Eine Befragung der Mitarbeitenden sowie eine der einweisenden niedergelassenen Ärzt:innen hielt dem Haus den – wenig schmeichelhaften – Spiegel vor. Und dann kam Bewegung in die Angelegenheit.

„Als Anfang der 2010er Jahre feststand, dass das bisherige Bettenhaus der WKE nicht mehr saniert werden kann, also ein Neubau ansteht, war von Anfang an klar: Die Beschäftigten sollten umfänglich einbezogen werden.“ Den Auftakt für die Beteiligung zum Neubau wurde mit einer Großgruppenintervention gemacht. Alle Beschäftigten, vom Chefarzt bis zur Servicekraft, wurden in zwei Wellen in die dafür angemietete Stadthalle eingeladen, um Anmerkungen zu den Plänen für den Neubau zu machen. Es schlossen sich intensive Dialoge mit den Mitarbeitenden über Jahre hinweg an. Das Ziel war: Jede/r sollte eine Antwort auf seine Anregung bekommen.

Dann unternahm man Studienreisen zu innovativen Krankenhäusern in Deutschland und ins benachbarte Ausland, sammelte dort Eindrücke und diskutierte diese in allen Details wiederum in vielen Gesprächsrunden. Und man besuchte mit einem Querschnitt der Mitarbeitenden ein Luxusresort. Denn man wollte verstehen, was Gastfreundschaft dort bedeutet. Genau das wollte man schließlich auch den eigenen Patienten bieten.

Ein Mock-up

Als Ergebnis der ganzen Erkundungen und Diskussionen wurde schließlich ein 1:1-Modell eines Patientenzimmerensembles plus angrenzenden Flur auf dem Gelände erstellt. Das konnte man begehen. „Hier konnten die Abläufe konkret durchgespielt werden, die Brauchbarkeit der Nasszelle praktisch erprobt, das Handling der Durchreiche für Verbrauchsmaterialien usw. erfahren und ausprobiert werden.“

Nun hat ein solcher Neubau Einfluss auf die Abläufe – und umgekehrt müssen sich die gewollten Abläufe im Neubau realisieren lassen. Die soziotechnische Systemtheorie lässt grüßen: Technik und Mensch müssen gleichzeitig und miteinander verändert werden. Wieder wurde eine Großgruppenintervention durchgeführt: eine „Dialog Zukunft“-Konferenz. Das Ergebnis: 15 Zukunftsfragen. Stoff für die längere Detailarbeit mit vier Teilprojektteams. Und natürlich gab es noch zahlreiche weitere Themen und Projekte.

Kritische Punkte

„Keine Frage, bei einem so umfänglichen Vorhaben und über eine so lange Zeit lief bei weitem nicht alles rund, es gab kritische Punkte, Hänger und Störungen.“ Zwei konkrete Themen, die im Laufe des Projekts gravierende Schwierigkeiten bereiteten, berichtet der Autor:

  • Die Reichweite der Beteiligung war vorab unklar. Und wurde auch offengelassen: konsultativ, kooperativ, demokratisch oder delegativ – da kann man sich vieles vorstellen. Andererseits waren die Themen so vielfältig und unterschiedlich, dass man da schlecht einen Generalnenner definieren konnte. Doch als die Geschäftsführung zum Start des „Dialog Zukunft“ entschied, den Tarifvertrag ruhen zu lassen, wurde das als Affront wahrgenommen. Das Versprechen der Geschäftsführung, das Thema wieder aktiv aufzugreifen, sobald die Lage wieder finanziell konsolidierter sei, konnte hier deeskalieren. Diese Zusage der Geschäftsführung wurde dann später in der Tat eingelöst.
  • Nebeneinander von externer Beratung und interner Beteiligung: Hier kam es bei der Einführung eines speziellen Konzepts zu Konkurrenz. Was Vertrauen kostete.

Das Fazit des Beraters: „Wir haben vieles richtiggemacht, und dabei hatten wir in der Belegschaft genau den richtigen Sparringspartner. Wir haben viele Fehler gemacht, und auch hier hatten wir in der Belegschaft genau den richtigen Sparringspartner: Das Haus hat von uns gelernt und wir vom Haus.“

In der Tat handelt es sich hier – insbesondere für die Branche – um ein außergewöhnliches Projekt. Das hat uns so beeindruckt, dass wir mit dem Autor auch einen Webtalk (Mitarbeiterbeteiligung in der Praxis) veranstaltet haben. Wenn ich es mir recht überlege, wird es Zeit, dort noch einmal nachzufragen und das Gespräch fortzuführen …

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