22. November 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Holokratie einführen

INSPIRATION: Wie organisiert man ein Unternehmen, das an mehreren Standorten vertreten ist, wenn man auf die klassische Hierarchie verzichten und den Teams weitgehende Verantwortung übertragen möchte? Ein Schweizer Software-Haus hat das Experiment gewagt und die Holokratie eingeführt. Was durchaus nicht nur auf Begeisterung gestoßen ist.

Den Bericht habe ich in einer älteren Ausgabe der zfo gefunden (Selbst organisiertes Unternehmen). Bei Liip, einem Anbieter von Web-Applikationsentwicklung, gab es schon immer flache Hierarchien. Als das Unternehmen stark wuchs, hatte man bereits alle Teams mit weitreichenden Entscheidungsbefugnissen ausgestattet. Allerdings gab es wie immer bei größeren Organisationen inzwischen einige Querschnittsfunktionen wie Finanzen, HR und Kommunikation, die die anderen Teams beraten.


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Das Problem: Die genannten Querschnittsfunktionen „waren oft mit einer Managementfunktion gepaart.“ Was dazu führte, dass die Mitarbeiter von diesen bestimmte Entscheidungen erwarteten, was das Management gar nicht wollte. Kann man sich lebhaft vorstellen: „Entscheidet Ihr doch da oben!“ Was „normale“ Führungskräfte ja gerne dann auch tun.

Gleichzeitig fühlten sich die Teams durch Entscheidungen der Querschnittsfunktionen eingeschränkt. Kennt man auch: Entscheidet man nicht, ist das lästig, dann muss man selbst Verantwortung übernehmen. Entscheidet man, heißt es, wir kriegen Dinge auf’s Auge gedrückt. Also beschloss man bei Liip, die Holokratie einzuführen.

Das Modell, das dem der Soziokratie stark ähnelt, zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass es Rollen und Kreise vorgibt, jede Rolle und jeder Kreis hat einen Zweck, Verantwortlichkeiten, Domains und Policies. Es gibt vier Standardrollen: Lead Link, Rep Link, Facilitator und Secretary. Das Modell ist sehr ausführlich beschrieben in der Holocracy-Konstitution und wurde bei Liip offenbar nach allen Regeln der Kunst umgesetzt. Es kamen 30 Kreise und 340 (!) Rollen zustande. Das Grundprinzip in Sachen Entscheidungen lautet dabei: Jeder Kreis und jede Rolle kann jede Entscheidung treffen, „solange er nicht die Domain einer andereren Rolle oder eines anderen Kreises verletzt.

Wenn jemand feststellt, es gibt etwas zu verbessern/verändern, dann spürt er eine Spannung (Tension). Diese kann er entweder im Tagesgeschäft direkt, im Tactical Meeting oder, wenn es die Struktur grundsätzlich betrifft, im Governance Meeting lösen.

Was mir einfach gut gefällt ist die Tatsache, das hier einmal klar beschrieben wird, wie Entscheidungswege verlaufen und was zu tun ist, wenn es eben nicht rund läuft. In Hierarchien ist das zwar auch klar (Führungskräfte sind zuständig, und wenn sie es nicht hinkriegen, die nächste Ebene), aber eine klare Beschreibung des Systems Hierarchie kenne ich nur aus militärischen Kreisen.

Bei Liip trat schon bald Ernüchterung ein. Warum? Weil die Teams schon vorher das meiste selbst entscheiden konnten und die Holokratie als Regelwerk plötzlich viel bürokratischer empfunden wurde. Spannend: Statt Erleichterung eher Belastung. Dennoch hat man den Strukturwechsel offenbar durchgezogen, vor allem, weil man bei der Größe des Unternehmens mehr Regelungen benötigte.

Noch ein Lerneffekt: Die Trennung von Person und Rolle führte zu Problemen, die Menschen fühlten sich zu wenig wahrgenommen. Stelle ich mir auch schwierig vor: „Ich rede jetzt in meiner Rolle als…“ – „… und jetzt in meiner Rolle als…“ Da wird man sich früher oder später fragen, wer man dann selbst noch ist. Bei Liip lautete die Gegenmaßnahme, „Räume zu schaffen, in denen die Personen wieder zu Wort kommen„. Wie das genau aussieht, wird nicht beschrieben – offenbar hat man die rigide Meeting-Struktur etwas aufgelöst und lässt auch „menschliche Aussprachen“ zu.

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