KRITIK: Der Vorsitzende des Vorstandes der Deutschen Börse erklärt in einem Interview, wie er seine Rolle versteht. Dabei kommt das eine oder andere Erstaunliche zum Vorschein. Zum Beispiel, dass die Kollegen im Vorstand eine klare Nummer 1 sehen wollen.
In dem Interview, das aus zwei Teilen besteht, geht es zunächst um die veränderten Anforderungen an Strategie, Kommunikation, Prozesse und Systeme. Vor allem die informelle Organisation habe an Bedeutung gewonnen. Ich erinnere mich, dass wir früher in Führungstrainings den Teilnehmern wieder und wieder erklärt haben, wie wichtig es sei, sich an die vorgegebenen Strukturen zu halten. Die direkte Ansprache der Mitarbeiter eines Kollegen war tabu, man hatte sich immer an die Linie zu halten.
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Der Chef der Deutschen Börse erklärt, dass dieses Prinzip zumindest im Vorstand nicht mehr gilt. Er beansprucht für sich das Recht, direkt auf die zweite und dritte Ebene durchgreifen zu können und „über Botschafter in anderen Divisionen, Bereichen und Funktionen“ zu verfügen. Das Hauptargument: Die Silos müssen aufgebrochen werden, die Organisation muss schneller und flexibler werden.
Silos aufbrechen
Da muss man erst mal schlucken. Wie mögen das die Vorstandskollegen finden, wenn der Boss direkt mit ihren Mitarbeitern kommuniziert und in ihre Bereiche hinein regiert? Kein Problem, sagt er, denn der CEO macht bei seinem Amtsantritt „klare Ansagen und legt den Modus Vivendi dar.“ (Die Silos müssen aufgebrochen werden). Aha …
Liest man weiter, wird die Sache dann doch komplexer. Denn umgekehrt gehen auch seine Vorstandskollegen direkt zum Strategiechef oder zur Kommunikationschefin, die beide zu seinem Ressort gehören. Und das geht, weil das Vorstandsteam eben als Team arbeitet, und als solches schert man sich nicht um Silos. So wird vielleicht ein Schuh draus: Wenn sich irgendjemand aus dem Top-Team an einen Mitarbeiter wendet, dann steht dieser Jemand für den Vorstand allgemein. Klingt gut, ist ja auch irgendwie logisch: Wenn das Top-Team als Einheit agiert, hat jedes Mitglied des Teams Zugriff auf jeden im Unternehmen. Hinzu kommt die Haltung, dass dieser Teamgedanke als Vorbild für die nächsten Ebenen dient und von diesen ebenfalls gelebt wird.
Aber dann stolpere ich über die Fortsetzung: „Der CEO sagt dem Tanker, wohin die Reise geht“ (ein lustiges Zitat: Ich denke, da irrt der Börsenchef. Der Reeder sagt, wohin die Reise geht …). Eigentlich gibt es in Deutschland das System, dass der Vorstand ein kollegiales Gremium und der Vorsitzende des Vorstandes nicht der Vorgesetzte seiner Kollegen ist. Das würde ja wunderbar zu den Aussagen im ersten Interview passen – ein Team aus gleichwertigen Partnern.
Tanker auf Reisen
Von wegen, denn das entspricht laut dem Börsen-Chef nicht der Realität. Der CEO „hat die Möglichkeit, sein Verständnis von Führung zu erklären und dabei auch wenig verhandlungsbereit zu sein.“ Wenn Diskussionen lange dauern, dann muss er die Möglichkeit haben, sie zu beenden und eine Entscheidung zu treffen, die dann alle mittragen. Und dann kommt es: „Trotz der Teamdynamik darf man nicht vergessen, dass auch die Kollegen im Vorstand eine klare Nummer eins sehen wollen.“ Wie auch die „Mannschaft“, die Presse, die Öffentlichkeit und die Investoren. Letztere sind international und wollen keinen CEO, der nur „Primus inter Pares“ ist. Die Realität des Aktiengesetzes hat sich längst überholt.
Verstehe ich das richtig? Das Vorstandsteam agiert als Team, jeder darf auf jeden Mitarbeiter der anderen Ressorts zugreifen und trägt die Gesamtverantwortung für alle Entscheidungen, hat aber eine klare Nummer 1, die sagt, wo es lang geht. Das Vorstandsteam dient als Vorbild für alle Teams darunter. Mit anderen Worten: Ohne eine Nr. 1 geht es nicht – nirgendwo. Ist das der neuste Stand der Managementtheorie? Oder „nur“ gelebte Praxis aller Orten?
Ich persönlich habe nur einmal ein Vorstandsteam dieser Größenordnung live erlebt. Das ist lange her, und so viel steht fest: Dort gab es diese Nr. 1, und niemand hätte es gewagt, deren Entscheidungen in Frage zu stellen. Aber jeder der „Kollegen“ war der Meinung, er selbst sei als Nr. 1 die bessere Besetzung. Vielleicht ist das der Grund, warum alle eine „klare Nr. 1“ haben wollen ….