KRITIK: Ich bleibe dabei: Microlearning klingt zwar prima, aber verspricht mehr, als es halten kann. Zumindest finde ich immer noch keine wissenschaftlich belegte Wirksamkeit, sondern vor allem Versprechungen. Und die betreffen vor allem die Länge der Lerneinheiten sowie die „Verdaubarkeit“. Soll heißen: Den Lerninteressierten wird versprochen, dass Lernen nicht viel Zeit benötigt und vor allem keine große Mühe macht. Von einer „gewissen Leichtigkeit“ ist die Rede. Wie das funktionieren soll, haben wir schon vor etlichen Jahren gelesen und kommentiert (Micro-Learning). Hat sich inzwischen etwas geändert?
Die Argumente sind die gleichen geblieben. Schnell soll es gehen, möglichst kurz die Lerneinheiten – zwischen 5 und 30 Minuten sollen sie währen. Dann kann man sich mal zwischen zwei Arbeitsgängen eine Lerneinheit reinpfeifen. Oder auf dem Weg zur Arbeit, in der U-Bahn, per App. Individualisiert soll es natürlich auch sein, jeder lernt oder bekommt genau das serviert, das er für seine Tätigkeit benötigt.
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Und vielfältig sollen sie sein – mal ein Podcast, mal ein Video, mal ein kleines Spiel, dann ein kurzer Text, eine Grafik usw. Damit das Lernen Spaß macht. Das alles soll besser funktionieren als längere Sessions z.B. in Form eines Seminars. Weil unser Gedächtnis ohnehin nicht mehr als sieben Informationen im Kurzzeitgedächtnis speichern kann (Millersche Zahl), dann ist es doch besser, wenn man erst gar nicht mehr als sieben auf einmal angeboten bekommt. Außerdem vergessen wir in den ersten Stunden nach dem Aufnehmen einer Information einen Großteil (Ebbinghaus-Vergessenskurve), da ergibt es Sinn, die Dinge regelmäßig zu wiederholen. Was mit kleinen Lernhäppchen über einen längeren Zeitraum besser klappt als im Training.
Ein Argument darf natürlich nicht fehlen: Microlearning ist kostengünstig (Lernen in kleinen Häppchen). Wenn die Lockmittel „schnell“ und „spaßig“ noch nicht gezogen haben, dann ist „kostengünstig“ natürlich wunderbar. Und schließlich: Weil wir ja wissen, dass Lernen in Gemeinschaft viel besser funktioniert, gibt es regelmäßig Online-Treffen, in denen sich die Lernenden austauschen.
Riesiger Markt?
Der Markt für entsprechende Apps ist angeblich riesig, in 2023 sollen sie in den USA fast sechs Milliarden Dollar Umsatz generiert haben. Da ist sogar die Rede von Lernimpulsen, die nicht länger als zwei bis fünf Minuten dauern (Mit App im Trend). Wie das funktioniert? Ein kleines Beispiel: Man bekommt per Whatsapp kleine Textnachrichten – „in Texte verpackte Wissenshäppchen“ -, das nennt sich dann „Spaced Repetition“ (verteiltes Lernen). Da wir ja jede Nachricht öffnen, sobald unser Smartphone blinkt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der Inhalt unser Hirn erreicht. Auf ähnlichem Weg lassen sich dann kurze Multiple Choice-Tests verbreiten.
Das Versprechen lautet sogar, dass man auf diese Weise sogar Führung lernen kann. Oder besser: Bestimmte Fähigkeiten trainieren kann, die man als Führungskraft benötigt. Argumentieren, kommunizieren, präsentieren usw. – und das alles so ganz nebenbei.
Klinge ich skeptisch? In der Tat. Ich vergleiche das mal mit dem Erlernen eine sportlichen Fähigkeit. Oder dem Erlernen eines Musikinstrumentes. Beides kann ich im Moment gut beurteilen. Um eine bestimmte Bewegung oder eine Tonfolge zu beherrschen, muss ich üben. Spielen wir das mal durch: Ich bekomme auf meinem Smartphone den Hinweis, dass es mal wieder Zeit für Liegestütze wird. Ich habe die App so eingestellt, dass mich solche Nachrichten morgens vor der Arbeit erreichen, denn der Hinweis hilft mir in der U-Bahn natürlich nicht. Nun denn, fünf Minuten Liegestütze. In der Frühstückspause: Drei Minuten Kniebeugen. Mittags: Vier Minuten Situps. Zu dumm, da klingelt mein Telefon, oder grade ist mir nicht danach. Und überhaupt: Ich merke, um wirkliche Fortschritte zu machen, brauche ich schon den regelmäßigen Besuch im Fitness-Studio.
Unseriöse Versprechungen
Soll heißen: Lerne ich ernsthaft etwas, indem ich Miniatur-Trainings absolviere? Liest man genauer, fällt dann auf: Solche Micro-Trainings sollen die „richtigen“ Trainings gar nicht ersetzen, sondern ergänzen. Weil ja auch das stimmt: Drei Tage Führungstraining und das war es dann, bringt wenig, wenn man das Gelernte nicht anwendet. Also sollen die Häppchen den Lernenden dazu bringen, am Ball zu bleiben. Sicherlich sinnvoll, aber das Versprechen, dass hierfür Mini-Einheiten genügen, ist schlicht unseriös. Und „kostengünstig“? Auch das Kostenargument führt in die Irre – die Trainings fallen ja nicht weg, die Kosten für die Apps kommen noch hinzu.
Bleibt der soziale Aspekt des Lernens. In der Tat, wenn sich Teilnehmer an einem Training oder einem Sprachkurs regelmäßig online treffen, um ihre Erfahrungen auszutauschen oder weiter gemeinsam etwas üben, lässt sich das je nach Gruppe sicher leichter organisieren als regelmäßige Treffen in Präsenz. Hängt aber vermutlich auch vom Lerngegenstand ab – funktioniert beim Joggen sicher weniger.
Nicht falsch verstehen: Ich finde Lernvideos wunderbar, viele dort aktive Lehrende können die Inhalte extrem anschaulich vermitteln. Aber mit Häppchen ist es auch hier nicht getan, wenn ich Fortschritte erzielen will, dann helfen mir fünfminütige Lerneinheiten kaum. Es ist immer das Gleiche: Wer uns verspricht, dass wir mit geringem Aufwand und ohne Anstrengung Neues erlernen können, der will nur eins: unser Geld.