INSPIRATION: Wird in Verhandlungen gelogen? Na klar. Ist das in Ordnung? Natürlich nicht. Aber offenbar gibt es Täuschungsversuche, die eher hingenommen werden als andere. Aber zuerst einmal: Welche Lügen wenden Menschen in Verhandlungen an? Da gibt es jede Menge, auch wenn sie diese vermutlich nicht als Lügen, sondern eher als Bluff bezeichnen würden. Da wird nicht die Wahrheit über den Leistungsgegenstand erzählt, über den Preis oder die Verfügbarkeit („Nur noch drei Stück auf Lager!“). Oder es wird Unzufriedenheit mit dem Angebot vorgetäuscht, so getan, als sei man in anderen Dingen total einer Meinung mit dem Verhandlungspartner (Similar-to-me-Technik), ein angeblicher „Freundschaftspreis“ geboten, über viel bessere Konkurrenzangebote gelogen, von internen Deadlines und Vorgaben gefaselt oder gar von ethischen Standards im eigenen Unternehmen.
Normal? Offensichtlich, aber wovon hängt es ab, in welchem Umfang derartig getäuscht wird? Von vielen Dingen, wie in der Beitrag in der Zeitschrift für Konfliktmanagement anhand zahlreicher Studien gezeigt wird (Die Wirkung von Täuschungen in der Verhandlungen): Alter, Bildungsgrad, Branche, Unternehmenskultur, Verhandlungserfahrung, Erwartungen (wenn ich erwarte, dass der andere täuscht, verhalte ich mich entsprechend), Zeitdruck, Verhältnis zum Gegenüber, Erwartung, ertappt oder nicht ertappt zu werden usw. Aber vor allem wohl von der moralischen Bewertung der Irreführung.
Welche Lügen „zulässig“ sind
Letzteres wollten die Autorin untersuchen und hat dazu verschiedene Zielgruppen zum Moralverständnis befragt: Anwälte, Richter, professionelle Verhandler und Studierende. Einige der Täuschungen werden von allen gleichermaßen moralisch verurteilt, andere offenbar eher als harmlose taktische Bluffs bewertet. Kritisch werden von allen Unwahrheiten über die Rechtslage beurteilt (also dass etwas angeblich zulässig oder unzulässig sei) und Unwahrheiten über den Verhandlungsgegenstand (wenn der Wagen angeblich unfallfrei ist). Auch Behauptungen über Alternativangebote werden abgelehnt. Weit weniger problematisch beurteilen alle Befragten Behauptungen über angebliche Deadlines (Das Angebot endet in 24 Stunden), über den „reservation price“ („Das ist der maximale Preis, den ich zu zahlen bereit bin!“) und über persönliche Referenzen („Den Staubsauger habe ich selbst zu Hause!“ – „Das ist mein Lieblingsrotwein!“).
Was lernen wir daraus? Naja, zumindest können wir davon ausgehen, dass wir häufiger mit letzteren rechnen müssen, denn wenn sie als harmlos gelten, werden sie vermutlich häufiger angewandt. Gefragt wurde danach nicht. Oder anders herum: Wenn Ihnen ein Verkäufer etwas von persönlichen Präferenzen erzählt oder angeblichen Deadlines, sollten wir darauf nicht allzu viel geben.
Interessanter wäre die Frage, wie man sich vor solchen Täuschungen schützt. Die Tipps hierzu sind spärlich. In gute Vertrauensbeziehungen investieren könnte helfen – überhaupt: Wer häufiger miteinander verhandelt, wird vermutlich vorsichtiger sein, weil er die Beziehung nicht schädigen will. Zum andern, gut informiert zu sein oder zumindest informiert und kompetent zu wirken. Letzter Tipp: Signalling bezüglich der eigenen Ehrlichkeit betreiben bzw. diese vom anderen einfordern. Ob’s hilft, wird man nicht immer herausfinden können.