INSPIRATION: Narzissmus, seine Ausbreitung und insbesondere die Form der narzisstischen Persönlichkeitsstörung, werden überschätzt. Das sagt ein ausgewiesener Experte für HR Diagnostics. Und das lässt aufhorchen.
Da wurde jahrelang gewarnt vor den Narzissten in den Unternehmen. Und insbesondere in den Chefetagen. Und jetzt: eine Entwarnung? Mitnichten. Ramzi Fatfouta (Die helle Seite des Narzissmus) kritisiert aber, dass „die Lupe (…) intuitiv auf Managementversagen gerichtet [wird]“. Also alles über einen Kamm geschoren wird. Es fehlt ihm ein kritisch-differenzierter Umgang mit dem Konzept.
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Ein Medienhype?
Denn das breite Medienecho erwecke den Eindruck, dass Narzissmus zunehme (Beim Hunderennen). Dem sei aber gar nicht so, im Gegenteil. Die Mehrheit der Bevölkerung sei „normal“. Die Häufigkeit der narzisstischen Persönlichkeitsstörung (NPS) in der Gesamtbevölkerung belaufe sich auf etwa 1,6 Prozent. Und Fatfouta rückt dann mal die Dinge zurecht: „Es ist beispielsweise wesentlich wahrscheinlicher, jemanden mit einer Angststörung oder Depression auf der Arbeit anzutreffen als eine Person mit NPS.“
Was Narzissmus allerdings so unangenehm mache, seien „die sogenannten antagonistischen Verhaltensweisen“: Aggression, Überlegenheitsstreben, Abwertung von anderen. Solches wird oft als feindselig wahrgenommen und führt zu Konflikten im Arbeitsleben.
Die helle Seite des Phänomens
Ambition, Begeisterungsfähigkeit und Charisma sind die hellen, also sozial-erwünschten Seiten des Narzissmus. Und Durchsetzungsstärke, Führungsanspruch, Risikobereitschaft oder Unternehmertum. Menschen mit solchen Eigenschaften sind mutig, innovativ und können andere mitreißen und orientieren.
Tja, es gibt wohl zwei Seiten der Medaille. Und es kommt immer auf den Kontext an. Wie schon andere zuvor zu bedenken gaben (Narzissmus: Problem oder Nebelkerze?). Doch Fatfouta macht da auf einen wichtigen Aspekt aufmerksam: „Führung und Narzissmus hängen nahezu symbiotisch miteinander zusammen, weil Führung eine sozial akzeptierte Bühne für das eigene Ego bietet.“ Und das bedient die Bedürfnisse des Narzissten: Er kann sich exponieren, Einfluss nehmen und erhält Privilegien.
Prozessverlauf
Aber zurück zum Kontext. Es kommt immer auf die Situation an, ob Narzissten „passen“: Im Start-up in der Frühphase. Oder als „neuer Besen“ im Unternehmen. Da schafft der Narzisst Momentum. Im weiteren Verlauf dreht sich dann zumeist das Blatt. Mittels seiner antagonistischen Verhaltensweisen wirft der Narzisst mit dem Allerwertesten um, was er mit den Händen aufgebaut hat. Die Konsequenzen können bitter sein: Fehlzeiten, Fluktuation, Burnout.
Wobei die Mitarbeitenden dem Narzissten gegenüber auch nicht hilflos ausgeliefert seien. Man könne lernen, besser mit ihm umzugehen. Indem man seine eigenen Trigger kennenlerne. Dann könne man entspannter und vielleicht klüger reagieren. Besser Grenzen setzen, sich nicht so leicht vereinnahmen lassen, Kooperation und strategische Allianzen suchen. Das erlebt der eine anstrengend, die andere vielleicht herausfordernd.
„Narzissmus ist eine systemische Herausforderung,“ so der Experte Fatfouta. Das Unternehmen als Ganzes sei deshalb gefordert. Mit dem kompletten Besteckkasten der Corporate Governance: Verhaltenskodizes, Audits, Whistleblower-Systeme. Und daher fängt das Kümmern schon mit der Personalauswahl an und geht mit der Personalentwicklung weiter. – Da fehlte dann lediglich der Hinweis auf das Thema Unternehmenskultur.