INSPIRATION: Unternehmen sind laut Arbeitsschutzgesetz verpflichtet, Gefährdungsanalysen durchzuführen, um zu ermitteln, ob und wodurch ihre Mitarbeiter gesundheitlich beeinträchtigt werden könnten. Das gilt seit 2013 auch explizit für psychische Belastungen. Ein Krankenhausträger bindet seine Mitarbeiter bei der Analyse und der Entwicklung von Maßnahmen ein.
Das Unternehmen wollte es nicht bei anonymen Fragebogenaktionen belassen, sondern startete stattdessen eine Initiative namens „Tea(m)Time“. Dabei wenden sich die Mitarbeiter eines Teams „verbindlich alle 3-4 Wochen für 30-45 Minuten ihrer Gesundheit und ihrer Arbeitsbelastung zu“. (It’s Tea(m)Time). Die Führungskraft moderiert das Treffen, bei dem es nicht nur darum geht, die Belastungen zu benennen, sondern auch Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen.
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Gefährdungsbeurteilung
Zu Beginn des Treffens füllen alle Mitarbeiter einen Fragebogen anonym aus, indem sie ihre psychische und physische Arbeitsfähigkeit auf einer Skala von null bis zehn einschätzen, wobei die Zehn für die maximale, je erreichte Arbeitsfähigkeit steht. Die Ergebnisse werden gesammelt und dem obersten Management zur Verfügung gestellt. So kann auch dieses jederzeit Maßnahmen ergreifen, wenn sich Anhaltspunkte für gravierende Verschlechterungen ergeben.
Die Autoren im Personalmagazin betonen die Besonderheit für die Führungskräfte, die hier (nicht ganz überraschend für das Gesundheitswesen) „Vorgesetzte“ genannt werden. Diese müssen einen Rollenwechsel vornehmen: Als Moderator agieren sie anders, müssen die Mitarbeiter als Experten vor Ort akzeptieren und unterstützen das Team „via Coaching-Techniken“ bei der Lösungs- und Ideensuche. Das sei eine neue Erfahrung für die Führungskräfte, die dazu liebgewonnene Gewohnheiten loslassen müssen. Nach dem Treffen gehen sie wieder zum „business as usual“ über.
Damit das funktioniert, wurden die Führungskräfte geschult und begleitet. Und lernten offenbar solche Techniken wie das systemische Konsensieren, was auch für die Mitarbeiter eine Umstellung war und meist mehrere Meetings benötigte, bis es akzeptiert wurde. Auch Teil der Methodik: Wenn das Team eine Lösung implemtiert hat, füllen sie einen Reflexionsbogen aus, in dem sie die Wirkung der Maßnahme bewerten.
Evaluierung
Das Verfahren wurde in sechs Jahre getestet und dann hinsichtlich Alltagstauglichkeit, Nützlichkeit, Wirksamkeit Akzeptanz u.a. Kriterien evaluiert. 80% der Mitarbeiter sahen die Kriterien als verwirklicht an, nur 10% lehnen das Verfahren ab. Sieht so aus, als hätte das Verfahren eine Chance zu überleben und nicht als „potenzieller Streichkandidat“, wie das bei Maßnahmen zur Gesunheitsförderung (ähnlich wie bei Maßnahmen der Weiterbildung) gar nicht so selten ist, in der Versenkung zu verschwinden, wenn die Lage sich ändert.
Irgendwie erinnert mich das an die Qualitätszirkel in den 80er Jahren. Der Unterschied: Hier sind die Führungskräfte als Moderatoren eingesetzt, und das hat Vor- und Nachteile. Wenn diesen der Rollenwechsel gelingt, könnte ihr Einsatz schon dafür sorgen, dass die Ideen ernst genommen werden. Andererseits ist das mit dem Rollenwechsel schon so eine Sache. Wer außer in diesen 45 Minuten per Anweisung führt – wie wird diese Führungskraft wohl damit fertig werden, wenn in so einer Tea(m)Time ihr Verhalten als Ursache für psychische Belastungen kritisiert wird?
Da aber nur 10% der Befragten diese Meetings ablehnt, gehe ich mal davon aus, dass hier vielleicht auch die Rolle der Führungskraft eine Veränderung durchmacht. Wäre ja eine feine Sache.
Es gibt übrigens ein Erklärvideo dazu auf der Seite des Unternehmens, hier zu finden.