INSPIRATION: Stellen Sie sich vor, Sie vermieten eine Wohnung. Der Mieter gerät mit seinen Mietzahlungen in Verzug, irgendwann reißt Ihnen der Geduldsfaden und sie kündigen fristlos. Der Mieter wehrt sich und fordert seine Kaution zurück. Am Ende zieht er aus und Sie müssen ihm noch etwas zurückzahlen. Unfair? Sicher. Aber können Sie trotzdem einen Gewinn daraus ziehen?
In der Zeitschrift für Konfliktmanagement beschreiben zwei Mediatoren diesen Fall aus eigenem Erleben (Win-Win-Win). Und zeigen in weiteren Fällen, dass Win-Win nicht unbedingt bedeutet, dass beide Seiten einen wirtschaftlichen Erfolg erzielen. Selbst wenn das gelingt, kann das Ergebnis zulasten Dritter gehen – damit tragen andere die Folgen, was auf Dauer vermutlich keine gute Lösung ist. Wenn zwei Unternehmen kooperieren statt sich zu bekämpfen, führt das sicher zu einem Win-Win. Würde man die Verhandlung als Erfolg bezeichnen, wenn andere dadurch bankrott gehen?
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Soll heißen: Bei Konfliktvermittlungen sollte man immer schauen, ob die Lösungen auch für Dritte einen Gewinn darstellen bzw. nicht zu deren Lasten gehen. Apropos Gewinn: Auch bei Streitigkeiten, bei denen es um materielle Güter geht, bedeutet Gewinnen natürlich nicht, dass immer ein positives Ergebnis erzielt wird. Der Gewinn kann auch darin bestehen, dass ein negatives vermieden oder abgeschwächt wird. „Gewinnbringend kann auch die Art sein, wie man zum Ergebnis gelangt.“Jedes geordnete Verfahren kann als Gewinn angesehen werden angesichts der Erkenntnis, dass die Alternative ein eskalierender Konflikt ist.
Die Alternative zum Konflikt
Irgendwie banal, das wird jedem Mediator klar sein. Und so klar ihm das auch ist, gerade wenn es um Geld geht, dürfte es meist extrem schwer sein, einer Konfliktpartei zu helfen, auf materiellen Gewinn zugunsten von immateriellem zu verzichten. So wie bei Nachbarn, die darüber in Streit geraten, wer den Gartenzaun ersetzt. Der „Sieger“ muss mit der immateriellen Folge leben, dass die nachbarschaftliche Beziehung nachhaltig gestört ist. Oder weil damit Dritte keinen Schaden nehmen, etwa bei Auseinandersetzungen zwischen Ehepartnern, die sich trennen. Da kommt es sicher regelmäßig vor, dass jemand auf materielle Ansprüche verzichtet, dafür die Kinder nicht unter jahrelangen Zwistigkeiten leiden.
Einfach ist das natürlich nicht, wie jeder sich ausmalen kann. Das liegt an unserer Eigenart, ständig zu vergleichen. Und es ist eben viel einfacher, Geldbeträge zu vergleichen als diese mit einem immateriellen Wert in Relation zu setzen. Nehmen wir den oben genannten Fall, bei dem die Mieter, die mit der Miete in Rückstand sind, nun auch noch die Kaution zurückverlangen. Tatsächlich ging es den Autoren so: Der Richter schlug einen Vergleich vor, bei dem der geprellte Vermieter noch eine Teilsumme entrichten sollte. Verständlich, dass der alles andere als begeistert reagierte. Erst als der Anwalt, ein alter Freund, ihn beiseite nahm und ihn fragte, ob sein Ziel immer noch sei, die Mieter loszuwerden und ob er die Summe für ihn bezahlen sollte, ging der Autor in sich und verglich die Summe mit den zu erwartenden langjährigen weiteren Auseinandersetzungen, bei denen auch seine Frau als Zeugin hätte aussagen müssen, was diese nicht wollte und die er ihr so ersparen konnte.
Denn auch das ist ein Vergleich, den wir oft nicht anstellen: Den zwischen einem kurzfristigen Gewinn und den langfristigen Folgen. Der Autor zahlte am Ende und war froh, dass das Verfahren zum Abschluss kam. Genau darin liegt die Kunst: Die Perspektiven zu erweitern, in dem man den Vergleich objektiver Gewinne bzw. Verluste erweitert. Also indem man immaterielle, subjektive, aber auch mögliche langfristige Gewinne sowie mögliche Kosten oder Gewinne für Dritte einbezieht.