PRAXIS: Um es gleich vorwegzunehmen: Warum dieser Beitrag unter der Fahne Ambidextrie segelt, erschließt sich mir nicht völlig. Ich vermute, ursprünglich ging es schlicht um Innovationsmanagement. Der Text wurde dann mit einem Vorspann auf Linie für einen Ambidextrie-Schwerpunkt gebracht. Denn die organisationale Beidhändigkeit besteht bekanntlich aus Exploitation und Exploration. Und Exploration wiederum ist die Einflugschneise für die Innovationsentwicklung. Na ja, nicht so wichtig – aber wenn man das weiß, spart man sich gleich zweieinhalb Seiten Lektüre.
Der Autor (Ambidextrie entwickeln) stellt drei Methoden für das Innovationsmanagement vor, die auch allgemein in der Organisationsentwicklung oder in Leadership-Programmen eingesetzt werden können. Die beiden ersten Methoden folgen dem Motto „Zukunft hat Herkunft“, sie knüpfen ganz bewusst an der Historie der Organisation und/oder der Branche an. Die dritte Methode erschließt Neuland.
3 Methoden für das Innovationsmanagement
10-Types of Innovation: Dieser Ansatz wurde Ende der 1990er-Jahre erstmals am Institute of Design in Chicago entwickelt und liefert ein Diagnose-Chart der Innovationsentwicklung einer Branche (oder eines Unternehmens). Es werden hierzu die Pressemitteilungen der Unternehmen der letzten fünf Jahre ausgewertet und vier Bereichen (Finance, Process, Offering, Delivery), die insgesamt in zehn Unterbereiche aufgesplittet werden, zugeordnet. Auf einen Blick sieht man im Histogramm (Häufigkeitsverteilung), wo „die Musik gespielt“ hat. „Die Täler in der Innovationslandschaft, sind potenzielle Kandidaten für Exploration.“ Damit hat man zwar einen systematisierten Überblick, aber nun zu glauben, dass man mit ein paar Workshops schnell bahnbrechende Innovationen produzieren kann, wäre naiv. Man hat Ideen. Damit daraus Innovationen werden können, braucht man selbstverständlich das Commitment in den betroffenen Bereichen und den Willen zur cross-funktionalen Kooperation. Vielleicht erntet man zunächst auch bloß Widerstand. Immerhin hat man aber eine Diskussion angestoßen.
Orthodoxien: „Orthodoxien sind Glaubenssätze innerhalb einer Organisation. In der Strategieliteratur werden sie auch als Dominant Logic bezeichnet. Es handelt sich um unausgesprochene Annahmen, die sehr stark die Historie einer Organisation und ihrer ganzen Branche prägen (‚Jeder weiß doch, dass…“).“ Man könnte auch sagen, hier gelangen wir ins Reich der Mythen Mythos Management). Diese können erklären, warum die Täler im „10 Types of Innovation“-Chart entstanden sind: Weil es nämlich Denkverbote gibt! Was auch den Widerstand gegen die gerade entwickelten Ideen erklären kann. Werden die Tabus bewusst gemacht, beispielsweise durch Workshops, in denen die Mitarbeiter gezielt solche Tabus aufstöbern, und lässt man sich zudem bewusst auf das Risiko ein, gegen die Basic Assumptions zu verstoßen, kann sich die Tür für Innovation öffnen: Was wäre, wenn…?
Future Deck: Dies ist eine spielerische Methode. „Das Future Deck-Set besteht aus ca. 150 Karten, die nach sieben Farbgruppen gekennzeichnet sind. Jede Farbgruppe repräsentiert eine bestimmte Perspektive wie z. B. Technologie, Wachstumschancen, Werte etc.“ Sogleich fühlt man sich an De Bonos 6-Hüte-Methode erinnert. Auf dem Hintergrund der strategischen Agenda des Unternehmens kann nun gezielt auf die Vision hingearbeitet werden. Gerade in kleinen moderierten Gruppen mit mehreren Wiederholungen und kontinuierlicher Fotodokumentation lassen sich, so der Autor, erstaunliche kreative Vorschläge entwickeln.
Umwege zulassen
Es zeigt sich, dass diese Methoden sehr gut aufeinander aufbauen. Besonders imponiert hat mir der Hinweis, dass der scheinbar kürzeste Weg von der Idee zur Umsetzung riskant ist und offenbar nicht selten in die Sackgasse führt. Erst der Umweg und „Boxen-Stopp“ bei den Orthodoxien eröffnet ein tiefes Verständnis für Widerstände und deren Rationalität (Psycho-Logik). Erst die bewusste Entscheidung für den Regelbruch ermöglicht den Verstoß gegen die Tabus und gibt die Erlaubnis, die Scheuklappen abzustreifen und Neuland zu betreten. Für mich spricht geläuterte Erfahrung (Weisheit) aus diesem Vorgehen.