INSPIRATION: Ein revolutionärer Ansatz? Man stelle sich vor, die Beschäftigten eines Unternehmens suchen sich ihre Aufgaben selbst. Kein Chef, der ihnen sagt, was zu tun ist. Nur noch die Dinge bearbeiten, die den eigenen Fähigkeiten entsprechen. Und die Spaß machen.
Schön wär’s oder? Tatsächlich ist es nicht ganz so beim Pharma-Konzern Bayer, der von sich reden macht, weil er gerade die komplette Organisation auf neue Füße stellt. Und dabei einen „Talent Marketplace“ betreibt (Selbst gesteuerte Karriere). Das ist eine Online-Plattform, auf der sich Mitarbeitende interessante Projekte suchen können, an denen sie mitarbeiten wollen. Mehr noch: Wer sich für andere Aufgaben interessiert, dem macht die Plattform Vorschläge für „passende Jobs, Projekte oder Weiterbildungsangebote“.
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Über die Passung entscheidet eine KI. Diese erstellt aus verschiedenen Quellen (Profile auf Social-Media-Plattformen, Lebenslauf, bisherige Jobs) ein Profil und vergleicht dieses mit den Anforderungen einer ausgeschriebenen Aufgabe. Interessiert sich jemand z.B. für die Mitarbeit in einem Projekt, dann bewirbt er sich, das betreffende Team führt ein Vorstellungsgespräch, um zu schauen, ob derjenige ins Team passt, und los geht’s. Das funktioniert unter anderem auch, weil viele Projekte aus der Ferne in virtuellen Teams bearbeitet werden. Ist also vor allem etwas für die „Wissensarbeiter“. Das Ganze läuft auch unter dem Begriff: „Flüssiger Arbeitsmarkt“.
Freiwilligkeit
Das wirft natürlich so einige Fragen auf. Was ist mit der „eigentlichen“ Tätigkeit? Schließlich haben die Menschen ja schon einen Job. Bei der Beschreibung der Aufgaben wird immer der Zeitbedarf angegeben, sie sind also meist in Teilzeit zu bewältigen. Dennoch frage ich mich, wie das funktioniert, wenn eine Mitarbeiterin ihrem Team mitteilt, dass sie nun 30% ihrer Arbeitszeit für ein anderes Projekt tätig ist. Entweder war sie bisher nicht ausgelastet, oder ihre Kollegen übernehmen ihre Arbeit, oder sie macht Überstunden.
Andererseits: Wer hat nicht immer mal wieder Luft zwischen seinen „normalen Tätigkeiten“, gerade in großen Unternehmen? Da wird der Mitarbeiter schon selbst einschätzen können, ob er zusätzliche Aufgaben annehmen kann. Ist ohnehin alles freiwillig. Was die nächste Frage aufwirft: Was ist mit jenen, die dankend darauf verzichten? Wird man irgendwann angesprochen, weil man in keinen weiteren Projekten aktiv ist?
Gig-Economy?
Ich kann mir vorstellen, dass so mancher ganz begeistert ist, mal was anderes zu machen. „Das kann eine Chance für mehr Autonomie und besseres Arbeiten sein, aber auch überfordern,“ sagt ein Wissenschaftler. Es geht in Richtung einer internen „Gig-Economy“, bei der sich Hochqualifizierte wie Selbstständige ständig neue Jobs und Auftraggeber suchen. So wie Fußballspieler. Oder Mitarbeitende in Filmproduktionen. Oder Kapitäne auf Frachtschiffen, wie ich kürzlich als Passagier auf einem Containerschiff erfuhr. Man wird für eine Zeit engagiert, dann zieht man zum nächsten Projekt weiter. Und wenn man nicht gebraucht wird, fließt auch kein Geld.
Letzteres ist für Angestellte eines Konzerns natürlich nicht der Fall, insofern ein reizvoller Ansatz. Hätte mich persönlich auch angesprochen als ehemaliger Bayer-Mitarbeiter. Stelle mir nur vor, wie meine damaligen Vorgesetzten und Kollegen reagiert hätten, wenn ich mich ständig in anderen Projekten getummelt hätte. Darüber verrät der Beitrag in der Brand eins leider nichts.