KRITIK: Wenn Unternehmen wüssten, welche Fähigkeiten ihrer Beschäftigten sie in Zukunft benötigen, und dann auch noch herausfinden könnten, wer über diese „Skills“ heute schon verfügt, dann könnten sie zum einen diese jetzt schon einstellen, zum anderen bei ihrer vorhandenen Belegschaft dafür sorgen, dass die „Kompetenzlücken“ geschlossen werden. Und wüsste der einzelne Beschäftigte, über welche „Zukunftsskills“ er verfügt oder nicht verfügt, könnte er sich schon umschauen, wo er denn in Zukunft landen möchte oder welche Skills ihm noch fehlen.
Alles klar? Ehrlich gesagt, mir nicht. Nur so viel: Das Thema ist so angesagt, dass sich viele Anbieter tummeln, die entsprechende Skill-Programme, Lern- und Talentmanagement-Plattformen entwickeln und natürlich versprechen, „mithilfe von KI Skills der Mitarbeitenden und deren Ausprägung erkennen, Skill Gaps identifizieren und Skills auf Jobs matchen“ (Die Transformation meistern).
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Wir glauben an die unbegrenzten Entwicklungsmöglichkeiten von Menschen, Strukturen und Prozessen. Unsere Mission ist es, Personen und Unternehmen bei dieser Entwicklung zu begleiten und sie dabei zu unterstützen, ihre Ziele zu erreichen.
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Neben dem Versprechen, dass man damit Mitarbeitende flexibler auf neue Projekte passend zu ihren Skills setzen und ganz gezielt Skill-Lücken schließen kann, klingt auch das verheißungsvoll: Man kann Innovationen vorantreiben. Wie? Indem man Mitarbeitende mit diesen Zukunftsskills identifiziert und einstellt oder fördert: Kritisches Denken, Flexibilität, Eigeninitiative und Teamfähigkeit.
Wenn das alles ist …
Kein Scherz, diese Begriffe fallen hier mehrfach. Und jetzt bin ich völlig verwirrt. Das sind also die vielbeschworenen Zukunftsskills? Na, wenn das alles ist, dann sollte es doch nicht so schwer sein, diese im Einstellungsgespräch zu identifizieren. Oder – noch viel leichter – bei den vorhandenen Mitarbeitenden festzustellen.
Denkste, wir brauchen natürlich Tools dafür. Die geniale Begründung: Der Blick in die Vergangenheit hilft nicht. Denn dann erkennt man ja nur „Vergangenheitsskills“ (den Begriff findet man nicht im Beitrag, er stammt von mir). Die Argumentation: Wenn man nur schaut, welche Qualifikationen jemand bisher erworben hat oder welche Fähigkeiten jemand in der Vergangenheit zeigen musste, um erfolgreich zu sein, weiß man ja nicht, welche Skills er besitzt, die ihn für die Zukunft tauglich erscheinen lassen.
Da sind wir wieder bei dem bekannten Potenzialanalyse-Ding. Das heißt nun anders, eben Futureskill-Management. Und wie erkennt man diese nun mit „modernen Mitteln“? Mit einem „Situationskomforttest“, und der funktioniert so:
Man bietet den Probanden 20 berufsnahe Alltagssituationen an und bittet sie zu entscheiden, wie sicher oder überfordert sie sich dabei fühlen würden. Daraus wird dann ein Kompetenzprofil berechnet. Mit Werten zu eben den genannten Kompetenzen wie Flexibilität oder Kommunikationsfähigkeit (auch eine „Future Skill“). Dann vergleicht der Algorithmus dieses Profil mit über 3.000 Berufen und 14.000 damit verbundenen Fähigkeiten und bewertet die Eignung.
Potenzialanalyse reloaded
Mehr noch: Er macht Berufsvorschläge und kommt dann auch zu ganz überraschenden Erkenntnissen: Da kann dann ein Maschinenbau-Ingenieur Berufe wie Bibliothekar oder Rechtsanwaltsfachangestellter vorschlagen bekommen. Das wird hier als großartiger Fortschritt angesehen: „Der Fokus auf überfachliche Kompetenzen ermöglicht es, auch Berufe außerhalb der bisherigen Branche zu entdecken.“
Ich sehe ihn vor mir, den Laboranten, der in seinem Unternehmen nicht mehr benötigt wird, und der dann erklärt bekommt: „Freuen Sie sich, Sie sind teamfähig und tendieren zum kritischen Denken, wie wäre es, wenn sie zum Buchhalter umschulen?“
Spaß beiseite: Ein einfacher Test mit 20 Situationen löst das uralte Problem der „Potenzialanalyse“? Und all das ganz einfach per Künstlicher Intelligenz, da muss man sich als Personaler gar nicht mehr anstrengen. Mit solchen Versprechungen fängt man Mäuse.