KRITIK: Die Großen (Konzerne) sollten sich etwas von den Kleinen (Start-ups) abgucken. Denn da spiele die Musik, dort entstünden die Innovationen. Solches hört man allzu oft. Doch was wäre, wenn dort – im Begeisterungsrausch – das Rad nur neu erfunden würde? Und dieses dann auch oft genug viereckig wäre?
Nicht auszuschließen, dass dem oft so ist! Erheitert schlägt sich der Konzernmensch auf die Schenkel. Und wir bei MWonline stoßen oft genug ins selbe Horn: Alter Wein in neuen Schläuchen … (Ans Licht bringen). Doch jetzt soll eine Studie an der Universität Regensburg ein Modell entwickelt haben, mit dem es Unternehmen möglich sein soll, die Erneuerungskompetenz zu messen. Hört, hört! Einer der Autoren (Lernen von den Oldies) hat „die Prinzipien der kontinuierlichen Selbsterneuerung aus Fallstudien und Beobachtungen in der Praxis entwickelt.“ Die andere hat die Prinzipien theoretisch eingeordnet und operationalisiert. So weit, so Usus, so entstehen Abschlussarbeiten an Hochschulen.
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Die Prinzipien
- Selbstreflexion
- Kommunikation und Vernetzung
- Vielfalt und Paradoxiefähigkeit
- Bezweifeln und Vergessen
- Erkunden
- Experimentieren
- Fehler- und Feedbackkultur
- Infrastruktur der Erneuerung
Da denkt man doch gleich an die sieben Prinzipien des Change Managements von Kotter (Urgency etc.) oder besser gleich an die bahnbrechende Reformulierung des Kotter’schen Beraterlateins von Gerkhardt und Frey. Auch könnte man an das Kontingenzmodell Inversinis denken, die vor einer Rasenmähermethode in der OE warnt und stattdessen ein individualisiertes Vorgehen anrät. Unternehmen würden sich eben in ihrer Ausgangslage und Adaptivität sehr unterscheiden. Doch beziehen sich die Autoren dieses Beitrags (Lernen von den Oldies) nicht auf diese Konzepte und auch nicht auf etablierte des Innovationsmanagements: Warum auch von den Oldies lernen, wenn man selbst etwas Neues präsentieren kann?
So wundert es kaum, dass die Autoren ihr Modell als höchst passend und statistisch mit Faktorenanalysen überprüft vorstellen. Und sie legen noch einen drauf: „Nahezu alle Ausprägungen der Selbsterneuerungsfähigkeit, wie ‚Selbstreflexion‘, ‚Bezweifeln‘, ‚Erkunden‘, ‚Fehler- und Feedbackkultur‘, sind mit der strategischen, organisatorischen oder individuellen digitalen Reife einer Organisation assoziiert.“ Was für eine frohe Botschaft! Die Skeptikern wie mir allerdings sogleich im Halse stecken bleibt: Ich halte gar nichts von Reifegradmodellen, ich halte sie für unwissenschaftlich. Warum? Fragen Sie doch mal nach: Wann genau ist die Reife erreicht? Woran genau erkennen Sie die Reife? Dann wird nämlich rumgeeiert. Weil es natürlich niemand sagen kann. Oder man legt willkürlich irgendeinen Wert fest, womit dann bewiesen wäre, dass es sich um ein normatives Modell handelt und nicht um ein wissenschaftliches. Ach ja, im Management wird halt viel behauptet, wenn der Tag lang ist.
Aber jetzt kommt noch eine interessante Wendung im Beitrag: „Case Studies in Unternehmen aus dem Medien-, Finanz- und Mobilitätsbereich in der Studie verdeutlichen, dass große Unternehmen offensichtlich erneuerungsfähiger sind als kleine Organisationen.“ Da schau an! Case Studies … Doch leider kommen jetzt keine Zahlen oder wenn, solche die dazu im Widerspruch stehen: „Die Ergebnisse aus der allgemeinen Branchenbefragung zeigen, dass Mitarbeitende häufig sehr stark an festen Normen und Regeln festhalten, die im Unternehmen bestehen (über 50 Prozent).“ Ist das nicht genau das, was Innovation in Unternehmen im Wege steht, wie zahlreiche Studien zeigen?
Was soll man nun mit solchen Ausführungen machen? Die Autoren raten immerhin dazu, die Mitarbeiter immer in Bewegung zu halten, nicht zu lange auf derselben Stelle zu belassen (Job Rotation etc.), das und nicht das junge Alter, das in Start-ups üblich sei, befördere Erneuerungsfähigkeit. Sodann wird als Beleg für die These das Beispiel IBM angeführt.
Ich persönlich warte dann einfach mal die nächste Studie ab, in der wieder das Rad neu erfunden wird. Das hat manchmal ja auch einen gewissen Unterhaltungswert …