27. Juli 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Don’t look up!

INSPIRATION: Das Akronym VUKA kennt inzwischen fast jeder. Es steht für Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität. Es kennzeichnet unsere Gegenwart und das Gefühl, alles sei irgendwie in Bewegung, man könne sich auf nichts mehr verlassen, uns bleibe nur, auf Sicht zu fahren. Alle nicken. Doch stimmt das wirklich? Oder ist das bloß eine Phrase? Was ist dran am Konzept? Eine Autorengruppe rund um den Systemtheoretiker Guido Strunk hat sich das Konzept mal genauer angeschaut (Ambiguität der VUKA-Welt).

„Unfassbare, alles verändernde – und zuvor für nicht möglich gehaltene – Katastrophen scheinen sich in immer schnellerer Folge zu ereignen. Hinzu kommt die Bedrohung durch den Klimawandel.“ Wir leben im Krisenmodus und erleben Zeitenwenden. Der Begriff VUKA erscheint im Jahr 1986 erstmalig auf der Bildfläche, und zwar im militärischen Kontext. Offenbar wurde er am US Army Heritage and War College kreiert und dann später mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Fall der Berliner Mauer assoziiert. Man könnte nun denken, der Begriff habe eine wissenschaftliche Grundlage und sei eindeutig definiert. Ist er aber nicht. Obwohl Google Scholar 23.900 wissenschaftliche Arbeiten listet.


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VUKA – nicht eindeutig definiert

An besagtem College hat man in einem Brainstorming wohl schlicht so einiges zusammengetragen und mit heißer Nadel verstrickt: Fertig war die Laube. In der Folge wurde das Kunstwort nur noch zitiert, aber niemand hat sich wirklich die Mühe gemacht, einmal tiefer zu graben. Volatilität und Komplexität, so die Autoren um Strunk, entstammen dem naturwissenschaftlichen Kontext. „Beide Begriffe lassen sich mathematisch definieren, empirisch messen und mittels theoretischer Ansätze erklären.“ Die Begriffe Unsicherheit und Ambiguität hingegen stammen aus den Geistes- und Sozialwissenschaften, insbesondere der Psychologie. Und sie meinen eher individuelle Wahrnehmungen und Bewertungen.

Volatilität gehört zu den einfachsten statistischen Werkzeugen der Finanzmathematik. Die Standardabweichung (Streuung) ist ein Maß dafür, wie Preise oder Aktienkurse zufällig um einen Erwartungswert schwanken. Das ist Wahrscheinlichkeitsrechnung. Wer sagt, dass die Volatilität in Krisenzeiten zunimmt, hat das Konzept nicht wirklich verstanden. Die Wahrscheinlichkeit bleibt dieselbe, verändert hat sich der Erwartungshorizont. Mit solchen Modellen kann man, auch wenn der eine oder andere Börsenguru anderes behauptet, die Zukunft nicht vorhersagen. Wenn man aber aufgrund von immer mehr und besseren Daten, siehe Klimakrise, den Erwartungswert immer besser beschreiben kann, wird der Korridor der Volatilität immer enger.

Volatilität

Das Problem an der Volatilität ist aber, sie bezieht sich immer nur auf eine Dimension. Das ist – nicht nur mit Blick auf die Klimakrise – unangemessen und wenig hilfreich. Wir brauchen mehrdimensionale Modelle, womit wir bei der Betrachtung komplexer nichtlinearer dynamischer Systeme wären und der Rolle von Schmetterlingseffekten und der Selbstorganisation solcher Systeme (Chaos als sinnvolle Form von Ordnung). Wir müssen folglich immer mit unbekannten Neuordnungen im Feld rechnen, lautet die – unangenehme – Lehre, und ein neues Weltbild entwickeln. Das tun aber bislang nur wenige. Die meisten halten am alten Maschinenmodell fest: Lineare Ursache-Wirkungsketten, ein Rad greift ins andere, die Zukunft soll die Verlängerung der Vergangenheit sein. Alles unter Kontrolle.

Schauen wir uns den Begriff der Komplexität an, erleben wir hier ähnliches. Der Begriff bezeichnet ein aus verschiedenen Bestandteilen zusammengesetztes Ganzes. Hier haben wir also die Mehrdimensionalität. Aber – auch hier wird es ungemütlich: „Ein System als zusammengesetzter Komplex verfügt über Eigenschaften, welche die Einzelteile des Systems nicht aufweisen.“ Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Einzelteile, wie schon vor hundert Jahren die Gestaltpsychologen sagten. Komplexität ist aber – anders als es die VUKA-Formel suggeriert – nicht per se schlecht. Alles Lebendige ist komplex.

Komplexität bedeutet Mehrdeutigkeit und Freiheit. Das ist die „Luft“, die wir zum Atmen brauchen. Wir wissen heute allerdings auch, winzige Fluktuationen in einem System können sich mit der Zeit und manchmal rasend schnell und exponentiell zu gigantischen Effekten hochschaukeln. Da hilft keine sogenannte Künstliche Intelligenz, kein Quantencomputer und auch keine Big Data. Komplexität ist die beweisbare Grenze der Vorhersagbarkeit. Komplexität ist dynamisch. Man findet sie nicht mit Querschnittsanalysen, sondern nur mit Längsschnittuntersuchungen wie den Klimaaufzeichnungen. Man muss nur hinschauen und die Augen aufmachen, um das Menetekel zu lesen.

Unsicherheit ist das Ergebnis eines psychologischen Bewertungsprozesses. Verschiedene Beobachter können bezüglich der realen Gegebenheiten zu unterschiedlichen Bewertungen kommen. „Die Unsicherheit, die Menschen erleben, ist als Erleben immer echt. Die Objektivität einer Bedrohungssituation als solche stellt hier kein relevantes Kriterium dar.“ Eine objektive Unsicherheit lässt sich wiederum nur mit Bezug auf die Systemtheorie verstehen: als Grenzen der Prognose. Ob also unsere Lage heute unsicherer ist als im Mittelalter oder einer anderen Epoche? Vermutlich nicht – weil man erst im Nachhinein schlauer sein wird.

Ambiguität meint Mehrdeutigkeit. Sie verlangt Interpretation und Geduld, auch die Bereitschaft, sie ertragen zu wollen, statt alles in einem großen und schnellen Entweder-Oder zu entscheiden. Man erinnere sich an Wahrnehmungstäuschungen, an Kippbilder. Das ist das Metier der Kunst, sie, und Literatur, Musik und so weiter, leben genau davon – und wir schulen unsere Wahrnehmung und erleben lustvoll das Umschlagen von einem Bild zum anderen. Keine Frage, auch Ambiguität ist zutiefst subjektiv. Wo der eine nur ein großes Dröhnen hört, hört der andere ein mehrstimmiges Orgelkonzert. Ambiguität ist also auch nicht schlecht per se, sondern der Schlüssel zur Erkenntnis, zum Wandel. Der systemische Altmeister Heinz von Foerster sagt: Vermehre die Möglichkeiten!

VUKA ist in den letzten Jahrzehnten folglich recht undifferenziert und alarmistisch gebraucht worden. Das verbaut aber den Blick auf die Lage und die Chancen, die sich ebenfalls eröffnen.

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