INSPIRATION: Ich gestehe, dass ich die Idee mit der Wahl der Führungskräfte durch die Mitarbeiter mal ziemlich attraktiv fand. Wer wenn nicht die „Geführten“ können beurteilen, ob jemand führen kann? Die Erfahrungen in einem realen Unternehmen zeigen, dass der Ansatz seine Tücken hat. Und sie machen nachdenklich, denn so manches lässt sich auch in der Gesellschaft wiederfinden.
Führungskräfte werden klassischerweise von oben eingesetzt. Mit der Konsequenz, dass sie vor allem darauf achten müssen, nach oben einen guten Eindruck zu machen. Ich werde nie vergessen, wie verblüfft einmal ein Manager war, als er die Einschätzung einer Führungskraft der Ebene unter ihm durch deren Mitarbeiter las und meinte, das könne nicht die gleiche Person sein. Er würde sie völlig anders erleben.
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Führungskräftewahl durch Mitarbeitende
Lässt man nun die Führungskräfte von den Mitarbeitern wählen, müssen sie versuchen, diesen zu „gefallen“. Sogar richtigen Wahlkampf betreiben, was bei der Einsetzung von oben nicht so offen geschieht (wenn auch in der Praxis natürlich stattfindet). Bei Haufe-umantis hat man nach sechs Jahren das Experiment beendet, weil nicht nur der jährliche Wahlkampf anstrengend war, sondern vor allem ein Phänomen auftrat: Statt regelmäßigem Feedback erhielten die gewählten Chefs die Quittung bei der nächsten Wahl, dem „Tag der Abrechnung“ (Demokratie auf neuem Level).
Das Problem bei dem System ist nicht nur, dass eigentlich alle Stakeholder bei der Wahl einbezogen werden müssten (damit die Führungskräfte eben nicht nur nach den Mitarbeitern schielen), also auch das Management, die Kunden, die Lieferanten usw. Man stelle sich nur diesen Wahlkampf vor. Der Versuch, so etwas zu entwickeln, scheiterte bei Haufe-umantis.
Das eigentliche Problem ist, dass die ursprüngliche Hierarchie ja bestehen bleibt. Mitarbeiter also weiterhin Verantwortung nach oben delegieren können und sich dann zurücklehnen nach dem Motto: „Wir haben dich gewählt, nun mach mal!“ Um dann anschließend bei jeder unliebsamen Entscheidung über „die da oben“ meckern zu können. So wie wir das aus der Politik kennen.
Verantwortungsdelegation
Noch ein Problem: Wer zur Führungskraft gewählt wird (sei es vom Management, sei es von den Mitarbeitern), gewinnt an Status und Ansehen und natürlich auch beim Entgelt. Es ist ein (gefühlter) Entwicklungsschritt, man hat einen „Sieg“ errungen, auch über jemand anderen. Was dann passiert, kennen wir doch auch aus der Politik. Erst muss man sich gegen die Konkurrenz durchbeißen, dann muss man mit ihr eine Koalition bilden. Um dann vor der nächsten Wahl wieder gegen sie anzutreten. Das verschleißt nicht nur die Wahlkämpfer.
Wer dann verliert, der verliert auch an Ansehen, eine Niederlage tut weh: „richtig locker hat man eine Abwahl nie genommen.“ Gehört halt dazu in einer Demokratie, könnte man sagen. Aber muss das sein? Mich führt das wieder zu dem Ansatz, auf die Position einer Führungskraft ganz zu verzichten und nur konkrete Aufgaben und Zuständigkeiten zuzuteilen. Mit der entsprechenden Begründung, damit ist auch für regelmäßiges Feedback gesorgt, man muss nicht bis zur nächsten Wahl warten.
Bei Haufe-umantis hat man eine andere Alternative gefunden, offenbar mit Hilfe von Frédéric Laloux. Er schlug ein Verfahren vor, bei dem jeder Mitarbeiter unabhängig von seiner Position in der Hierarchie ein Initiativrecht hat. Es nennt sich „Advice-Prozess“ und stammt vom Amerikaner Dennis Bakke, CEO bei Imagine Schools, erfunden aber in seiner Zeit als CEO beim Energieunternehmen AES. Spannend.